Cerro Ulrica, ca. 550 m + VIDEOCLIP
Exotische Erstbesteigung auf den Spuren John Steinbecks.
Sierra de la Giganta, Loreto, Baja California Sud, Mexico. Aufstieg 300 Hm.
Ausgangspunkt ist Loreto, Küstenstadt am Golf von Kalifornien, ca. 1200 km ssö. Tijuana, 350 km nnw. La Paz – auf der MEX 1 ca. 45 km weiter nach S, bis sich die Straße nach einem längeren Steilanstieg auf einer Art Hochebene nach SW wendet - genau südlich in geringer Entfernung der auffällige Cerro Ulrica, seine Form ähnelt der des Matterhorn – steigungsfreie Zufahrt in die Nähe des Cerros auf unbefestigter Piste. – Durch schütteres Gestrüpp mit vereinzelten Laubbäumen und Kakteen von N an den Bergkörper – durch eine Art Verschneidung (3) in den Sattel zwischen einem nw. Vorbau und dem Cerro – über dessen NW-Wand auf den scharfen N-Grat und ausgesetzt (2) zum Gipfelsteinmann (vom Einstieg weg stark verwittertes, bratschenartiges Gestein, erst der Grat ist wieder fest). – Direkt am breiteren Gipfelkamm fast eben nach S – beim Abbruch leicht rechts haltend (sw.) relativ leicht hinunter in eine ausgewaschene Schlucht mit sandigen Gumpen (möglicher Schauplatz der dramatischen Verfolgungsszene aus Steinbecks Perle) – in der Schlucht rechts (nördl.) leicht ansteigend um den Gipfelkörper herum zurück zum Auto.
In der Stadt erzählen die Leute die Geschichte von der großen Perle – wie sie gefunden und wie sie wieder verloren wurde. Sie erzählen von Keno, dem Fischer, von seiner Frau Juana und ihrem Kind Coyotito.
Baja California zeigt sich mit seiner Unmenge von zerklüfteten Bergen, gähnenden Abgründen, öden Ebenen, einsamen Stränden und unfruchtbaren Inseln als eine der außergewöhnlichsten Landschaften unseres Planeten. Die drittlängste Halbinsel der Welt erstreckt sich wie ein schmaler, missgestalteter Finger von der südwestlichen Ecke der Vereinigten Staaten bis weit über den Wendekreis des Krebses nach Süden. Im Westen der heutigen Halbinsel liegen mehr als 1600 km einsame Pazifikstrände, die Begrenzung im Osten bildet der Golf von Kalifornien. Dazwischen verläuft wie eine Lebensader die einzige asphaltierte Straße der Halbinsel über 1700 km bis zur Südspitze bei Los Cabos – die Transpeninsular, die Bundesstraße MEX 1.
Noch vor wenigen Jahrzehnten, genauer gesagt bis zum Jahr 1973, endete die ausgebaute Straße nach 350 km. Ab El Rosario führten nur mehr Pisten oder Karrenwege weiter, die Baja-Durchquerung stellte eine Herausforderung für hartgesottene Abenteurer dar. Heute existiert zumindest eine durchgehend asphaltierte Straße, das Abenteuer ist jedoch geblieben. Während sich die Touristenscharen aus aller Welt auf die berühmten Kulturstätten des mexikanischen Hochlandes und der Halbinsel Yucatan konzentrieren, fristet die faszinierende Baja ein Schattendasein – völlig zu Unrecht: überwältigende Landschaftsbilder, einzigartige Fauna und Flora und großartige Kulturdenkmäler, mittlerweile unter UNESCO-Schutz, treiben unseren Puls Tag für Tag in die Höhe.
Im Norden der Halbinsel überragt der gewaltige Picacho del Diablo die 3000er-Grenze, wir möchten euch hier eine Erstbesteigung in der weit im Süden gelegenen Sierra de la Giganta vorstellen. Im Laufe zahlloser Jahrhunderte von den Erosionskräften zernagt und genarbt, türmt sich dieses Hochland mit einem endlosen Gewirr von schroffen Klippen, flachen Kämmen, vulkanischen Bergspitzen, tiefen Arroyos (schluchtartigen Wasserläufen) und riesigen Lavadecken über der Golfküste auf. Es besteht hauptsächlich aus Sedimentgestein, dessen Lagen sich teilweise aus dem Geröllschutt ehemaliger vulkanischer Felsformationen zusammensetzen.
Der amerikanische Literatur-Nobelpreisträger John Steinbeck lebte eine Zeit lang in La Paz, einer der größten Städte der Baja an der südlichen Küste des Golfs von Kalifornien. Er zeichnet in seinem Roman Die Perle ein bedrückendes Bild jener Veränderungen, welche sich für die Indigenen nach der Ankunft der Spanier auf der Baja ergeben haben. Keno glaubt in einer wunderschönen riesigen Perle das Glück seines Lebens gefunden zu haben. Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft für seine junge Familie wird jedoch erstickt, ohnmächtig muss er am Bildungs- und Machtdefizit scheitern, sein altes Leben geht für immer verloren. Steinbecks Botschaft hat nach mehr als einem halben Jahrhundert nichts an ihrer Dringlichkeit eingebüßt, ganz im Gegenteil, die jüngsten politischen Entwicklungen machen sie aktueller denn je.
Obwohl es noch früh am Morgen war, begann die Luft bereits zu spiegeln und zu flimmern. Sie machte manche Dinge größer, als sie waren, andere aber wieder verlöschte sie, sodass sie unsichtbar wurden, sie hing über dem Golf und ließ alles unwirklich erscheinen wie eine Vision, der man nicht trauen durfte. Land und See erhielten so die scharfe Klarheit und zugleich das Unbestimmte eines Traumes. Daher kam es vielleicht auch, dass die Leute, die am Golf wohnten, ihrer Fantasie mehr Glauben schenkten als ihren Augen.
In den abgelegenen Schluchten der Sierra de la Giganta eskalieren die dramatischen Ereignisse des uralten mexikanischen Sagenstoffes um den armen Fischer und seine Familie. Nach ihrer Flucht aus La Paz werden sie durch die Habgier ihrer Umwelt selbst hier, in diesen entlegenen Canyons, aufgespürt, sie müssen sich gegen Kopfgeldjäger verteidigen, und der kleine Coyotito verliert am späten Abend durch eine verirrte Kugel sein Leben.
Unsere Überschreitung ist sozusagen die Tour zu diesem Klassiker der Weltliteratur.
Die Sonne näherte sich den zackigen Gipfeln der Berge. Sie strebten einer dunklen Schlucht entgegen. Wenn es in dieser Gegend überhaupt Wasser gab, dann konnte es nur dort sein, wo man schon von weitem Laubwerk winken sah. Und wenn es irgendeinen Weg gab, der über diese Berge führte, dann war er nur dort, in dieser tiefen Schlucht, zu finden. Wohl waren mit diesem Ziel, das auch seinen Verfolgern auffallen musste, Gefahren verbunden, doch die leere Wasserflasche ließ keine weiteren Überlegungen zu.
So einladend die schroffen Türme und Zacken, die sogenannten Cerros, von Weitem auf den Kletterer wirken, so unangenehm erweist sich das stark verwitterte Vulkangestein bei näherem Kontakt mit dem Fels. Kein Wunder also, dass wir offenbar die ersten Menschen auf dieser Spitze sind. Nach altem Bergsteigerbrauch fällt uns das Recht zu, dem Gipfel einen Namen zu geben. Der fantastische Gang über den Gipfelkamm mit unbeschreiblichen Blicken über die zerklüftete Felsenwelt aufs nahe Meer sowie der Abstieg in die Schlucht ist nicht zu verfehlen und verlangt keine große Kletterfertigkeit. Wegen der objektiven Gefährlichkeit der Route über NW-Wand und N-Grat, der Entlegenheit und des Fehlens jeglicher Rettungseinrichtung ist dieser Abstieg über den Südkamm und SW-Flanke in den westlichen Arroyo auch für den Aufstieg wärmstens zu empfehlen.
„Ich weiß nicht“, erwiderte der Wächter, „es klang wie ein Schrei, wie das Weinen eines kleinen Kindes“ … „Vielleicht ist es ein Coyote“, sagte er, und Keno hörte das Schnappen einer Feder, als er den Gewehrhahn spannte. – „Wenn es ein Coyote ist, dann wird er gleich ruhig sein“, sagte der Wächter und hob das Gewehr. Keno war mitten im Sprung, als der Schuss krachte …
Wenn diese Geschichte ein Gleichnis ist, dann wird vielleicht jeder sie nach seiner Art auslegen, und jeder wird sein eigenes Leben in ihr wiederfinden.
In unserem Dokumentarfilm Califias Goldinsel - Streifzüge durch das andere Kalifornien findet ihr neben zahlreichen landschaftlichen und kulturhistorischen Besonderheiten der Baja viele Reiseinfos sowie Sequenzen übers Catavina Boulderfield und eine expeditionsartige Tour auf den Cerro Botella Azul im Gebiet des Picacho del Diablo, dem höchsten Berg der Halbinsel.
(27.12.2005)
Literatur: Steinbeck: Die Perle. Roman. München: dtv.
Peterson: The Baja Adventure Book, 3. Auflage. Berkeley, CA: Wilderness Press 2004.
Lonely planet – Baja und Los Cabos.