Hochstadel, 2681 m. N-Wand, 3
Klassischer Anstieg durch eine der fünf höchsten Kalkalpen-Bigwalls.
Gailtaler Alpen, Lienzer Dolomiten, Lavant bei Lienz, Osttirol. Aufstieg 2100 Hm (inkl. kleine Gegensteigungen beim Abstieg am Zabarotsteig), davon Zustieg ca. 700 Hm + 1300 Hm Wandhöhe.
P Frauenbachwasserfall, Wacht, 2 km sö. von Lavant - Forststraße/Wanderweg Lavanter Graben - Nordwand - Hochstadel - Abstieg O-Kamm am Rudnigweg, früher Garnitzenweg - Unholdenalm - Hochstadelhaus bzw. Kalser Schutzhütte - Zabarotsteig (A/B) - Haltestelle Nikolsdorf - südliches Drauufer flussaufwärts und entlang der Straße zurück zum P.
Zusammen mit den wilden Nebengipfeln der Freiung und den filigraneren Hahnenkammspitzen formt der Hochstadel eine der gewaltigsten Wandfluchten der Ostalpen. Drei Jahre nach der Erstbegehung im Juli 1905 (Doménigg, Glatter und König) findet der hervorragende Lienzer Bergsteiger Rudi Eller zur Überwindung des steilsten Wandbereichs zwischen 2. und 3. Schneefleck, rechts vom Originalweg, eine wesentlich elegantere Lösung: die Ellerplatte - eigentlich ein mächtiger Plattenschuss, an dem auch heutzutage noch von den meisten Begehern gesichert wird. Eller gilt als der bedeutendste Erschließer der Lienzer Dolomiten und war auf seinen Neutouren meist solo unterwegs.
In Anbetracht der Dimension - die benachbarte, direktere und schwierigere Nordwestkante (5) bietet 2100 Klettermeter auf 36 Seillängen, unsere Nordwand ist um etliches länger - wird man den Großteil seilfrei klettern; wir haben die vier, fünf Seillängen im Bereich Ellerplatte gesichert. Im Vorfeld bekommt man das beste Gefühl für die Wand durch Beschreibung und Fotos im leider vergriffenen Peterka-End-Alpenvereinsführer.
Schon vor Sonnenaufgang steigen wir den Lavanter Graben zum roten Punkt des heute üblichen Einstiegs (auch eine „Erfindung“ Ellers) hinauf. Hier eine Art Logbuch zu diesem Meer aus Stein:
Dank der Markierungspunkte kommen wir relativ flott über die versteckte Rinne hinaus zu den talseitigen Begrenzungsfelsen der Grabenrinne. Ulli steckt ihre Nase kurz in das überdachte, grüne Band - das bringt nichts, man kommt von dort nicht über die Wülste hinaus. Erich geht vom obersten Steinmann den grasigen Riss direkt an und versenkt mittendrin für alle Ewigkeit einen kleinen Friend - etwas weiter unten links hinaus ist es sicher weniger dramatisch. Jedenfalls stehen wir jetzt auf dem Begrenzungsrücken der Grabenrinne.
Die kurze Viererstelle am Klemmblock ist weder zu übersehen noch zu fürchten, dann kommt die erste große Überraschung: Im schluchtartigen oberen Graben liegen bis weit herunter meterdicke, pickelharte Schneemassen. Hier hält das Herumschnuppern in labyrinthischen Randklüften und unter höhlenartigen Schneebrücken etwas auf.
In der flacheren, gebänderten Zone hinüber bis unter den 2. Schneefleck, der genau wie der 3. heuer bereits restlos abgeschmolzen ist, geht's wieder hurtig voran - Steinmänner ersparen längeres Herumsuchen. Drüben in der breiten Verschneidungsrinne in schönem, leichtem Fels gerade hinauf bis zum Eck, wo sich die Anstiege trennen. Wir folgen Rudls Spuren.
Mitten durch den schmalen Plattenstreifen zwischen der großen gelben Riesenverschneidung rechts und der kleineren links windet sich ein schützengrabenartiger Kamin empor, durch den wir links hinaus auf die helle, flache Wandbucht steigen. Angesichts der tollen Plattenwand darüber ist man versucht, gleich gerade weiterzuklettern - rechts beim oberen Rand der weißen Platte befindet sich sogar ein Stand mit zwei Schlaghaken. Wir queren aber die flache weiße Platte horizontal nach links und schlüpfen einen überhängenden Winkel (Haken mit weit sichtbarer Schlinge) kurz steil hinaus - schaut von Weitem schlechter aus als es ist - zum Fußpunkt der nächsten langen Verschneidung. Diese 2 SL gutmütig hinauf bis an ihr Ende. Jetzt wird's spannend: 20 m weiter links schon wieder eine Verschneidung, dort drüben steht ein Steinmann. Erich folgt jedoch Peterkas Rat:
„Steil und ausgesetzt empor, und sobald der Plattenschuss noch steiler wird, ausgesetzter Quergang nach links ... “. -
Auf den Quergang (bandartige Leiste) trifft man nach gut 40 m. Wenn man Glück hat, stößt man auf einen Zwischenhaken, von Weitem aber sind die Dinger - wie so oft in den Lienzer Dolomiten - kaum auszumachen. Mobile Sicherungsmittel sind nicht einfach anzubringen, im Quergang eventuell ein Keil und ein Friend Gr. 2. All das und natürlich die Dimension der Wand überhaupt verleihen der klettertechnisch nicht allzu schwierigen Route insgesamt doch einen gewissen Ernst, den man nicht unterschätzen sollte. Man halte sich immer mögliche gewaltige Sturzhöhen in selbst gebastelte Stände vor Augen.
Die Querung stößt an die von unten kommende, seichte Verschneidung; einige Meter weiter oben erreicht man links der Kante eine alte, halb eingeschlagene Rostgurke, rechts gleich ums Eck stecken aber zwei neuzeitlicher Geschlagene. Hier verkürzt Peterkas Beschreibung - bis hinauf zum Rand der Wandschlucht sind's noch immer etwa zwei Seillängen, aber schon wesentlich einfacher.
Jetzt steigt das Tempo wieder beträchtlich: erst am Rücken, später am inneren Rand der Schluchtbegrenzung nicht zu weit hinauf. Wo eine Rippe die Schlucht teilt, führt ein kurzes, zierliches Schuttsteigerl (rote Aufschrift „Wbuch“ mit Pfeil) um die Rippenkante, dahinter ein paar Meter hinunter in den schneegefüllten linken Schluchtast; jenseits ein kurzer, höhlenartiger Risskamin - die einzige Schwachstelle der Schluchtwand. In der Höhle die Buchkassette, der Durchschlupf ist wieder leichter als gedacht, oberhalb Band mit Steinmännern.
Günstiger als vermutet ist auch die verbleibende Gipfelwand zu haben. Wir verlassen das Band (gerade weiter als Fluchtweg hinaus zur Nordostschulter) bald rechts hinauf und können uns beinahe nach Belieben über ausgesetztere Rippen oder eingeschnittene Schluchtkamine emporarbeiten zum Gipfelkreuz.
Der markierte Abstieg hinunter ins Drautal zieht sich dann noch ganz schön, falls man nicht schon unten in den Gasthäusern der Unholdenalm bei einem holden Blonden oder Weißen hängen bleibt.
Literatur: Messini: Osttirol. Alpinklettern, Klettergärten und Klettersteige. Mailand: Edizioni Versante Sud 2018.
Zlöbl: Klettern in den Lienzer Dolomiten. Tristach: Bookz 2013.
Peterka/End: AV-Führer Lienzer Dolomiten. München: Rother; leider längst vergriffen, manchmal noch in Antiquariaten oder im Internet zu finden.
Stocker: Longlines. Köngen: Panico Alpinverlag 2014. Behandelt nur den NW-Pfeiler, bis zum 1. Schneefeld aber mit unserer Nordwand ident - brauchbares Topo für den Zustieg.