Angerstein, 2101 m - Gamsfeldklamm
Klassisches und modernes aus einem zeitlosen Klettergebiet.
Gosaukamm, Dachstein, Salzburg. Zustieg vom Hof Pommer/Annaberg im Lammertal zur Stuhlalm oder Theodor Körner Hütte 450 Hm, zu den einzelnen Einstiegen weitere 400-500 Hm, auf die diversen Gipfel ab Hütte bis zu 800 Hm.
In Erichs bergsteigerischer Entwicklung spielt der Gosaukamm, speziell die Stuhlalm eine wichtige Rolle: 1969 überredet der damals 13-Jährige seinen Vater zur ersten gemeinsamen „Klettertour“ auf den Angerstein, immerhin 1+. (Auszug aus dem Tourenbuch: „... nach längerem Hin und Her vor dem Schweinestall trage ich den Sieg davon ...").
Im Sommer nach Erichs Matura werden alle Oberstufen-Mathematikhefte auf sämtliche Gipfel zwischen Donnerkogel und Angerstein verteilt und kultischer Verbrennung zugeführt. Auch seine zeitweise Vorliebe für abstruse Touren manifestiert sich zu dieser Zeit immer deutlicher: Routen wie etwa der NO-Grat des Niederen Flachkogels oder die Donnerkogel N-Wand sind eigentlich auch damals schon längst nicht mehr im Trend. Zu der Zeit hat allerdings auch niemand damit gerechnet, wenige Jahrzehnte später am Gosaukamm auf ein Schlaraffenland gut abgesicherter Touren zu treffen. Tausende Bohrhaken wurden gesetzt, von den Linzern rund um die Hofpürglhütte, von den Salzburgern auf der Annaberger Seite. Nach wie vor kommt aber auch der Abenteuerkletterer auf seine Rechnung, selbst in einigen sanierten Touren bläst noch ein Hauch aus früherer Ära ziemlich spürbar über Bizepse und Wadln, etwa im Peterkariss (s. unten).
Quasi über der Haustür der Stuhlalm thronen die Angersteine. Wirklich perfekte Berglandschaft, man fragt sich, warum die Kühe nicht violett sind. Eine Fülle an Routen allein an diesem Berg: leicht und nett Nordwand, Nordkamin, Nordkante. Schon etwas alpiner der originelle Deye-Kamin und die NW-Kante des Weitkarturmes. Über den Nordwand-Kamin des Hauptgipfels (Peterka/Kofler 1934) weiß der Körnerhüttenwirt nichts Gutes zu berichten, obwohl er einmal als „eine der gewaltigsten und eindrucksvollsten Kaminklettereien des Gosaukammes“ galt. Nicht in Ungnade gefallen, sondern saniert ist der Östl. SW-Wand-Kamin, bekannt als Peterkariss. -„Kurz aber oho!“ schreibt Thomas Jekel, und recht hat er; die Tour läuft unter 5+, trotz Bohrhaken wird so mancher virtuose 6er-Kletterer ins Schwitzen kommen; unglaublich, was die Seilschaft Peterka/Herrmann schon in den 20er-Jahren aufgeführt hat (beispielsweise am Sparafeld S-Pfeiler).
Für Genusskletterer ist der 200 m hohe Salzburger Pfeiler wie geschaffen, wir haben uns daran zwei Klassiker und eine neuere Tour angesehen. Der Westpfeiler von Krüttner/Schintelmeister erfreut sich seit 75 Jahren anhaltender Beliebtheit, wir haben ihn noch mit Normalhaken erlebt, mittlerweile ist er saniert. Ganz hervorragend auch die komplett sanierte Westwand (Wintersteller 1946) und der benachbarte Pippino (Moser/Egger 1988), dessen 7- sich weit flüssiger klettert als der Peterkariss. (Dieser Pippino-Moser ist übrigens niemand anderer als unser Reini, der natürlich nicht nur in Oberösterreich Plattenträume verwirklicht und Herbstsymphonien komponiert. Das Dachsteingebirge ist eine seiner Lieblingsgegenden, immer wieder findet er sich auch hier neue Projekte).
Trotz dieser und noch weiterer Genusshappen sollte man nicht vergessen, den beiden Gipfeln einen Besuch abzustatten, als Belohnung erhält man detaillierte Eindrücke von der verschachtelten Türmewelt des Gosaukammes. Oder zumindest das kecke Weitschartenmanndl am Westpfeiler-Fuß sollte man ersteigen, das kurze Kabinettstückchen endet auf einer winzigen Gipfelblumenwiese hoch über der Stuhlalm, praktisch in Augenhöhe mit den Kletterern am Salzburger Pfeiler. Auch über diesen unbedeutenden Zacken haben wir ein Gschichtl aus Erichs Sturm-und Drang-Zeit.
Sommer 1979: In der nicht sehr hohen NW-Wand des Manndls saust plötzlich ein Kletterspezi samt ausgerissenem Haken am sichernden Erich vorbei. Der Mittelstreckenflug endet abrupt - aber Gott sei Dank leicht gedämpft - auf einem schmalen Latschenband. Kurt hat wunderbarerweise nichts gebrochen, dafür einen der Öffentlichkeit nicht von Haus aus evidenten aber dennoch heimtückischen Schaden erlitten: einen Einriss an der Rosette.
Wollen wir uns nun wieder Gegenden mit längerer Sonnenscheindauer zuwenden.
Etwas aufwendiger ist der Zustieg zur Gamsfeldklamm, dafür ist die Auswahl an sehr schönen Routen noch größer als am Angerstein. Der geröllerfüllte Canyon bietet dem Kletterer zwei Welten: Rechts die N-Wände von Zahringkogel und Gamsfeldrücken, meist nicht eingerichtet (Ausnahmen: Zahringkogeldiagonale und Linksaußen). Links die sonnenbeschienenen, steilen Plattenfluchten des Glatscherofenkogels, überzogen mit über einem Dutzend lohnender Anstiege, alle saniert. Wir haben unsere Nasen in Humpy Dumpy, 7-, Hart aber herzlich, 7, und Risco del Paso, 6, gesteckt, allesamt in perfektem Fels, gar nicht so einfach und oft dicht an dicht, sodass manchmal nicht ganz sicher ist, in welcher Tour man gerade jubelt. Gerahmter Blick vom Gipfel „durch“ die Zahringkogelscharte auf die Bischofsmütze.
Auch für die umliegenden Gipfel gilt das über die Angersteine Gesagte, und noch mehr: Besonders der Blick vom Manndlkogel ist überwältigend, rundum fantastische Kulissen, die Nordwand der Bischofsmütze zum Greifen nahe (Willi Ends Sternstunden-Kreation ist übrigens auch mittlerweile eingebohrt), genau so der Gosaugletscher des Dachsteins.
Auf einen bemerkenswerten Gipfel hätten wir beinahe vergessen: den Geisterkogel, einen Trabanten des Manndlkogels, keine 30 m niedriger als dieser. Eher selten verirren sich irgendwelche Gespenster auf diesen ausgesetzen Kegel, vielleicht über Südgrat (schon wieder Peterka) und Ostkante. Erich wurde 1974 bei einem Alleingang in der nur 50 m hohen Nordwand eine wahrhaft erschreckende Deutung des ominösen Namens zuteil: Beim Abklettern am steilen, plattigen Konus – Abendstimmung, über allen Gipfeln ist Ruh‘ – plötzlich direkt neben ihm lautes Getöse, ähnlich einem extrem verstärkten Bierflaschen-Blase-Sound. Kein unerwartetes Auftauchen von Abfangjägern, kein Felssturz. Schlagartig einsetzender Wind hat auf parallel zur Felsoberfläche verlaufenden Karrenritzen ein deftiges Lied geprobt. Den damals jungen Tutter hat’s so gerissen, dass er fast hinuntergefallen wäre.
(Juli 2013)
Literatur: Schall/Jekel: Dachsteingebirge & Gosaukamm. Wien: Schall 1995.
Laut Hüttenwirt der Theodor Körner Hütte ist ein neuer Gebietsführer in Planung.