Kletterfreuden zwischen Zagreb, Varaždin und Osijek
Knapp südlich der slowenisch-kroatischen Grenze zwischen Maribor und Zagreb - gut 100 km hinter Graz - erstreckt sich das idyllische Waldgebirge der Ivanščica. Flankiert von zwei für den Tourismus bestens gerüsteten Kulturstädten prägen Mischwald, Seen, Weingärten und Höhen bis über 1000 m das Landschaftsbild. Die eingestreuten Felsen - hier an prominenter Stelle weithin sichtbar, dort wieder hoffnungslos hinter den Sieben Bergen versteckt - haben uns zu einem Streifzug durch dieses nahezu unbekannte Gebiet bewogen, welches trotz seiner Nähe zu Österreich lediglich von einheimischen Kletterern aufgesucht wird. Ganz ehrlich: In unserer hochpulsigen Vorfreude auf Velebit, Biokovo oder die vielfältige Inselwelt kann diese Ecke des Landes nicht all das bieten, wofür wir regelmäßig nach Kroatien pilgern. Dennoch schenkt uns diese Fahrtunterbrechung ein weiteres Teil des unüberschaubaren Balkanpuzzles und lässt uns vielleicht ein, zwei Tage verspätet, dafür aber merklich entspannter unsere Traumziele weiter im Süden erreichen.
Nur 12 km östlich des Grenzübertritts Macelj, unweit des Schlosses Trakošćan, einem der meistbesuchten Schlösser Kroatiens, ragt ein unübersehbares Felsmassiv aus den Weingärten, Velike pečine, 528 m hoch, zum Ravna gora Massiv gehörig. 40 Routen zwischen 4a und 7c sowie ein Klettersteig (B) zum aussichtsreichen Gipfelkreuz wollen entdeckt werden.
Im 15 km weiter südöstlich gelegenen Lepoglava (Schönhaupt) wurde 1854 das zu jener Zeit bereits fast ein halbes Jahrtausend alte Paulinerkloster in eine Strafanstalt umgewandelt, in dem in weiterer Folge auch Josip Broz Tito einsitzen sollte. Čuturaševa peč liegt gut verborgen im Wald südlich oberhalb der Stadt. Beim knapp 20-minütigen Zustieg gut aufpassen, dass man sich auf den labyrinthischen Ziehwegen nicht verfranst. Das Wändchen ist zwischen 5 und 15 m hoch; hier muss schließlich jeder selbst entscheiden, ob sich für die gut zwei Dutzend Touren zwischen 5a und 8a der Aufwand lohnt. Noch weiter in der Einöde, östlich von Ivanec, ist Erich eine gute Stunde lang auf der Suche nach Vranja peč durch die unübersichtlichen Wälder gestreift. Laut Führer ein gut eingerichtetes Klettergebiet, 19 Routen von 5b bis 8a+, für uns nicht aufspürbar - obwohl wir das Gefühl haben, ganz nahe dran zu sein. Trotz des Liebreizes der Gegend wenige Kilometer hinter der EU-Außengrenze lastet eine Art schwer definierbarer Nachkriegsatmosphäre, Armut, Perspektivenlosigkeit und damit verbundener Probleme wie etwa erhöhter Alkoholkonsum über dem Tal.
Die 20 Touren von Zia haben wir daraufhin erst gar nicht gesucht, zumal im Führer von schlechterer Felsqualität und Flechtenbewuchs zu lesen ist. Weithin sichtbar und eindrucksvoll hingegen die breite Wandflucht des Pokojec, 20 km südwestlich von Varaždin. 2 Sektoren, 80 Routen zwischen 4b und 8b.
Zurzeit die beliebteste Kletterdestination für die nordkroatischen Kletterer dürfte Kalnik ca. 20 km südlich von Varaždin sein. Die 150 Routen verteilen sich um die malerische Festungsruine der legendären Schwarzen Königin. Direkt am Fuß das gastliche Planinarski dom Kalnik (ganzjährig geöffnet). Das Gebiet ist vielfältig, auch Wanderer und Bergsteiger finden ein überraschendes Betätigungsfeld, etwa am 7-Zähne-Grat des Vranilac, am W-Grat des östl. Nachbargipfels (4 SL bis 4c) oder am SW-Grat des Vranilac (Hornotternest, 4 SL 6-/4+). Ein Wetterumschwung und die Dauerbeschallung eines Volksfestes haben uns viel zu schnell von hier vertrieben. Knapp 5 km nw. (vorbei am Paraglider-Startplatz am Vranilac Westkamm, P an der Straßenverbreiterung in der Senke danach) liegen gut versteckt im moosigen Wald die beiden Felsen Vražji vrt (12 Routen von 4a bis 7a+); etwas weiter die ersten dry tooling - Trainingsrouten Kroatiens (8 Routen bis D8/8+). Folgt man der unbefestigten Straße ins nächste Tal hinunter und nach dem Beginn des Asphalts (ausgeschildert) wieder rechts hinauf, gelangt man zum kleinen, gelben Felsen von Ljubelj (10 Routen bis 7b), an dem man in netter Lage locker einen halben Tag verbringen kann.
Weiter nach Osten zum Dreiländereck mit Ungarn und Serbien hin erstreckt sich südlich der Drau eine Reihe von Mittelgebirgen mit Wienerwaldcharakter. Höchste Erhebung ist der Papuk, 953 m, in einem südlichen Seitental liegt Sokoline stijene, ein gemütlicher Picknickplatz mit 10 Routen im französischen 5er-Bereich. 35 km weiter östlich, über Kutjevo und einen Waldsattel erreichbar, auf der Nordseite in einem abgelegenen Graben südlich von Orahovica Duzlučki jarak, ein neueres Gebiet mit drei kleinen Sektoren und knapp 20 Routen zwischen 4b und 7b. Die Zufahrt zum Parkplatz ist neuerdings gesperrt (Schranken), P daher bereits in der scharfen Linkskurve nach der letzten Straßengabel. 1 km danach kleine Holzhütte mit Bänken, gut 100 m später links im Wald kaum sichtbare Steigspuren steil und erdig zu den Felsen B und C; auf der Forststraße 50 m weiter, dann rechts der erste gut sichtbare Steig 100 Hm hinauf zum Sektor A (nach 30 m großes rotes Farbzeichen an Baum).
Nur 80 km nördlich liegt die ungarische Universitätsstadt Pécs, auf Deutsch Fünfkirchen, mit 150.000 Einwohnern fünftgrößte Stadt Ungarns, Europäische Kulturhauptstadt 2010 mit toll sanierter Innenstadt, verlockenden Restaurants und Eisgeschäften. Die schöne Lage am Südrand des Mecsekgebirges mit seinen Weingärten oberhalb der Stadt erinnert an die besten Wohngegenden Wiens, nur das Klima ist deutlich milder. Die Überraschung: mitten in der Stadt auf dem begrünten Felsriff Havi hegy ein Klettergarten mit einem halben Dutzend eingerichteter Touren bis 7+. Die funkelnagelneue leere Autobahn (E73) entlässt uns bei Bedarf in Windeseile nach Budapest und weiter nach Österreich.
Von unserem letzten slawonischen Klettergarten ebenfalls schnell erreicht ist Osijek, 20 km westl. der Vereinigung von Drau und Donau. Man hat sich hier erfolgreich bemüht, die fürchterlichen Schäden aus dem Balkankrieg zu beseitigen, Altstadt, Museen, Theater und viele Parks lohnen den Besuch. Nur noch 30 km weiter, im äußersten Osten Kroatiens, die am stärksten umkämpfte Stadt dieses Wahnsinns vor unseren Toren, der erst vor 20 Jahren eingedämmt wurde: Vukovar, bis heute ein Synonym für Massaker und Gräueltaten. Die Kleinstadt kann als eine Art Freilichtmuseum gesehen werden, wie in einem surrealen Puzzle wechseln schmucke Neubauten mit zerschossenen Kriegsruinen, die Architektur gipfelt in einem desolaten Wasserturm, der als Mahnmal erhalten bleiben soll.
Von Osijek zurück nach Zagreb braucht man auf der neuen Autobahn keine 3 h (280 km). Bilder von den beiden Klettergärten vor den westlichen Toren Zagrebs - Terihaj und Okić - versprechen wir für einen späteren Zeitpunkt.
(04.2015)
Literatur: Čujić, Boris: Croatia Kletterführer, viersprachig. Zagreb: Astroida 2014. Die Felsen von Ljubelj und Sokoline stijene nur in der älteren Ausgabe von 2009!
Weitere kroatische Klettergebiete auf nature-classic:
Kroatien - Klettergärten 1. Istrien
Kroatien - Klettergärten 2. Obere Adria
Kroatien - Klettergärten 3. Der Süden
Kroatien - Klettergärten 4. Biokovo
Kroatien - Klettergärten 5. Konavle - der äußerste Süden