Schöderhorn, 2475 m - Weinschnabel, 2754 m
Hochwinter-Abenteuer in der nordöstlichen Ecke des Nationalparks Hohe Tauern.
Ankogelgruppe, Hüttschlag, Großarltal. Salzburg, Kärnten. Aufstieg insgesamt 2300 Hm (1. Tag 1700Hm/Albert-Biwak. - 2.Tag 600 Hm).
Stockham, Hüttschlag, hinterstes Großarltal – Kreealm – Kreekar – NO-Flanke aufs Schöderhorn – Übergang Marchkareck – Nächtigung Albert-Biwak.
Schmalzscharte - Querung Frauennock S-Flanke (Schlüsselstelle) – Unterer Schwarzsee – See-Überquerung – N-Rinne des Kaltwandspitze NW-Gipfels – NO-Flanke auf den Weinschnabel – Abfahrt SW-Flanke zum Salzplattenkogel – Abfahrt in die Marchkarscharte – Marchkar – Schödersee – Schödertal nach Stockham zurück.
Je voluminöser die Tourenbücher, desto umfangreicher die Wunschliste.
November 1999: Wir stehen zum ersten Mal auf dem Schöderhorn, staunend betrachten wir die wilden, für uns unbekannten Felsberge im Süden.
August 2007: Am Gr. Hafner haben wir kurzerhand umdisponiert und in einer großzügigen Schleife den für uns kultigen Berg abermals eingefangen. Das wilde Gebirge ist uns jetzt nicht mehr fremd, hat unsere Erwartungen mehr als erfüllt: Wir treffen auf eine Farbenwelt, die man angeblich nur in Südamerika findet, grüne Matten, dunkles Urgestein, türkisblaue Seen, Gletscher, Klettersteigeinlagen … - Nachzuempfinden auf unserer Sommertour Hafner-Mureck.
Am aussichtsreichen Gipfel und vorher schon, beim entzückenden Albert-Biwak der AV-Sektion Edelweiß, entstand der Wunsch nach einer winterlichen Mehrtagesrunde bis zum Keeskogel hinüber. Als zweiter Stützpunkt auf diesem fantastischen, weitläufigen, zweisamen Marsch bietet sich die Ali-Lanti–Biwakschachtel nahe der Kleinelendscharte an. Der Hochwinter ist nicht gerade die beste Jahreszeit zur Verwirklichung solcher Träume, aber wenn die Verhältnisse nicht so schlecht sind und die Begeisterung und die junge Frau mit einem durchgehen - mal schauen, wie weit wir kommen.
Die Talnebel drängen ganztägig bis 2300 m herauf, der Blick hinüber zum Albert-Biwak ist aber meist ungetrübt. Schöne Mulden und Hänge ziehen zum Marchkareck hinauf, eine Einladung, der wir nicht widerstehen können.
Eine lange Schrägfahrt bringt uns anschließend in wenigen Minuten direkt vor die Haustür der Biwakhütte. So verlockend uns das adrette Schindelhäuschen unter dem markanten Gendarmen im Sommer erschienen ist, so frostig tritt es uns jetzt entgegen: keine Heiz- oder Kochgelegenheit, kein Licht (Solaranlage abgesteckt), Außentemperatur bei Sonnenuntergang -7 Grad, innen -8, ein schwacher Trost die geschmackvoll bezogenen Daunendecken.
Das mitgebrachte Bier ist kaum auf ein paar Plusgrade zu kriegen. Während wir stundenlang bemüht sind, unter gewaltigen Deckenbergen aufzutauen, rätseln wir über die Verhältnisse jenseits der Schmalzscharte, in der Frauennock Südflanke, wo morgen früh die Würfel über Fortsetzen oder Abbruch der Tour fallen werden.
Weit über 200 m fällt das Gelände südlich der Scharte in mehreren Wandstufen zum Unteren Schwarzsee ab, der Sommerweg kann auf diesem Abschnitt und auch weiter bis zum Oberen See und zur Muritzenscharte getrost als Klettersteig bezeichnet werden. Vor fünf Monaten haben wir zwischen den einzelnen Wandgürteln ein steiles, schrofiges Bändersystem ausgemacht, das im Winter den einzig praktikablen Weg zum See hinunter darstellt – natürlich nur bei optimalen Verhältnissen.
Mit dem folgenden Gegenaufstieg zum Weinschnabel verhält es sich ähnlich, die Rinne parallel zum Kaltwandspitze Nordgrat ermöglicht aber einen vergleichsweise bequemen Aufstieg. Erstaunlich schnell stehen wir am höchsten Gipfel des heutigen Tages (erste Winterersteigung am 1.1.1931 durch Sepp Schintlmeister, Erstbegeher der Dachl Nordwand, Gesäuse).
Ein herrlicher Aussichtsberg bei besten Sichtverhältnissen. Unangenehm nur der permanente Sturm, der uns schon seit zwei Tagen zerzaust; wir überlegen uns mittlerweile jedes Foto. Die Abfahrt über das winzige Gipfelplateau des Salzplattenkogels in die Marchkarscharte ist vom Gelände her traumhaft, der Fahrgenuss hält sich aufgrund der Schneeverhältnisse aber in Grenzen – Hochwinter eben.
Der kurze, aber sehr steile Gegenaufstieg auf die rampenartige, schmale Terrasse südlich unterhalb von Marchkarspitze und Brunnkogel ist uns bei den herrschenden Verhältnissen wirklich nicht mehr geheuer, außerdem haben wir mit einem Mal die Schnauze endgültig voll von dem ewigen Gebläse. Gar nicht schweren Herzens verzichten wir auf das Ali-Lanti-Biwak und wenden uns dafür einem neuen Abenteuer zu – dem weitläufigen Marchkar, das beim Kartenstudium ohnehin schon einen sehr verführerischen Eindruck gemacht hat.
Schon die Einfahrt in die ersten Mulden unterhalb der Scharte entschädigt uns für den frühzeitigen Abbruch, beklemmend die vereisten NO-Wände der Marchkarspitze. Die Karte legt uns nahe, nicht zu weit abzufahren. Sobald es möglich ist, queren wir in die wuchtige Nordflanke des Weinschnabels hinüber - bis unter die Muritzenscharte. So entkommen wir, Haken schlagend aber ungeschoren, den eisgepanzerten Felswänden, welche eine direkte Abfahrt zum Schödersee unmöglich machen.
Insgesamt eine traumhafte, entlegene Abfahrt von 1700 Hm, lediglich die letzten 100 Hm ins kleine Becken des periodischen Schödersees suchen wir ein bisschen durch die Latschen, wirklich viel Schnee hat’s heuer wieder nicht. Auch der Rest ist durchaus noch anregend, die zügige Fahrt durch das wild verblockte Schödertal hinaus zu den ersten Bauernwiesen bringt noch so manche Überraschung.
Schon eine Woche später will Ulli von Norden über den Keeskogel endlich das neu erbaute Ali-Lanti-Biwak inspizieren. Aber der Schnee ist noch immer nicht besser, und gnadenlos pfeift der Sturm.
(14. -15.01.2007)
Literatur: Stadler/Philipp: Schitourenführer Hohe Tauern. Köngen: Panico 2017