Almtaler Sonnenuhr
Weglose Extremwanderungen zwischen Rotgschirr und Zwölferkogel.
Totes Gebirge, Almsee, Grünau im Almtal, Oberösterreich. Aufstieg bis 2300 Hm.
P Almsee – bezeichnete und versicherte Steige über Sepp Huber Steig und Röllsattel bzw. Grieskarscharte zur Pühringer Hütte am Elmsee. Da die Überschreitung aller Gipfel an einem Tag vom Tal aus sehr weit ist, eignet sich die Hütte gut als Stützpunkt, auch für die Kletterrouten.
Zwei Talschlüsse schneiden besonders tief in die Felsenwelt der wilden Nordseite des Toten Gebirges, bilden die spektakulärsten Pforten in dieses Reich der Superlative. Die grüne Hetzau wird dominiert vom Großen Priel, der höchsten Erhebung des größten Plateaugebirges der Alpen, und der geschlossenen Flucht der Schermberg-Nordwand, gemessen an der Wandhöhe nach Watzmann-Ost die Nummer zwei in den Nördlichen Kalkalpen. In der benachbarten Röll sind die Dimensionen kaum zahmer, dafür zerrissener, verwinkelter. Die abenteuerlichen Gestalten der Hetzaukögel auf der linken Talseite, die Traumlinie des Rotgschirrpfeilers und die treppenförmigen Höcker der Almtaler Sonnenuhr im Hintergrund wecken nicht nur bei Extremkletterern brennende Gelüste.
Die beiden markierten Zustiege über Sepp Huber Steig und Röllsattel bzw. über Grieskarscharte und Abblasbühel zur idyllischen Pühringer Hütte sind traditionell viel begangen, an schönen Wochenenden manchmal fast überlaufen. Die einzelnen Gipfel, vor allem Neuner-, Zehner- und Elfer-Kogel werden fast nie betreten, obwohl ihre Qualifikation als erstklassige Aussichtskanzeln auf der Hand liegt. Wir bewegen uns über weite Strecken durch ziemlich entlegene, unberührte Urlandschaft, nirgendwo sonst in den Alpen wird man auf derart zerrissene, formenreiche Karrenlabyrinthe stoßen. Das weitverbreitete Vorurteil des weglosen Latschendschungels können wir allerdings nicht so stehen lassen …
Im weiten Umkreis der Hütte ist das Rotgschirr der meistbestiegene Gipfel. Sein Anblick vom Elmsee wirkt kolossal, besonders bei Sonnenuntergang; seine Ersteigung ist auf dem markierten und gesicherten Steig durch die Westflanke schnell und problemlos zu schaffen. Erwähnenswert auch der flache, aber ganz reizvolle Südgrat vom Rotkögelsattel (etwas Kletterfertigkeit gefragt). Eine potenzielle Kulttour für Liebhaber abgelegener Adventure-Wanderungen wäre die eigenwillige Linie aus der Hetzau (Almtalerhaus) durch Büchsenkar und Hetzaugraben, über die Hochplattenkögel und den dachfirstartigen Ostgrat zum Gipfel. Dieser kunstvoll von Wind und Wetter modellierte Kalksteg hoch über dem Rest eines atemberaubenden Felsplaneten hätte an sich das Zeug zum Klassiker, wegen seiner Entlegenheit ist er aber so gut wie unbekannt. Das Gipfelkreuz steht nicht am höchsten Punkt des lang gezogenen Firstes; der Blick von dort oben ist in mehrfacher Hinsicht eine Offenbarung: die unerhörten Kontraste zwischen der Gletscherwelt des Dachstein im Hintergrund und der grünen Oase um den Elmsee inmitten des bizarren, lebensfeindlichen Plateaus zu unseren Füßen können niemanden unberührt lassen.
Der direkte Abschneider vom Rotgschirr zum Röllsattel ist durchaus machbar, auf den zerklüfteten Karrenfeldern am nordwestl. Fuß der Gipfelflanke trifft man sogar auf deutliche Steinmänner (von den Ausstiegen der großen NW-Wandrouten), viel Zeitersparnis im Vergleich zum markierten Umweg darf man sich allerdings nicht erwarten, außer man kennt jeden Stein und bewegt sich wie ein Wiesel; genaue Wegbeschreibung unmöglich, Selbsteinschätzung gefragt.
Wer sich am Röllsattel ungeduldig und voller Todesverachtung in Richtung Neunerkogel ins Feld wirft, findet bald unter verzweifeltem Fluchen alle Latschendschungel-Warnungen bestätigt. Geheimtipp: auf dem Weg Richtung Almsee das Schuttkar hinab, sobald sich die ersten grünen Wiesen durchsetzen (nach gut 10 min, oberhalb der ersten Leiter) links an der Felswand entlang und die Geröllrinne wieder empor zum Plateaurand. Ab hier sind sämtliche Latschenpassagen ausgeschnitten, auf dem relativ flachen Gelände zum Neuner dünnen sie merklich aus, das Gelände wird immer übersichtlicher und es sollte keine Orientierungsprobleme mehr geben. Der Gipfel des Neuner ist ein breiter Rücken, der Zehner ein schärferer Latschenzacken, eine schnelle Zugabe mit unglaublich steilem Wandabbruch gegen den Almsee, der Elfer trägt ein weitläufiges Plateau. Dieser Grenzgang entlang kilometertiefer Abstürze gewährt Einblicke in ein Kontrastprogramm, wie es nur menschliche Schicksale oder eben die Berge bieten können: überwältigender Formen- und Artenreichtum inmitten erstarrter Monotonie, unbezähmbarer Überlebenswille auf einer geologischen Bühne, die schon lang vor unserer Zeit bespielt wurde.
Vom Elfer nicht gleich direkt zum Grieskarsteig abklettern, besser südlich am breiten Kamm Richtung Hochkogel ausholen und dann nach W zum markierten Weg hinunter. Der Zwölferkogel wurde bis vor wenigen Jahren fast ausschließlich von Einheimischen aufgesucht. Die neuen Kletterrouten in der Ostwand haben aber innerhalb kürzester Zeit große Beliebtheit erlangt und verschaffen diesem gewaltigen Berg nun angemessene Beachtung. Der Normalweg führt auf oder knapp hinter dem langen Gipfelkamm zum höchsten Punkt, Steinmänner und Steigspuren helfen weiter. Den schönsten Blick hat man vom großen Kreuz des niedrigeren Nordgipfels.
Leicht vorstellbar, dass diese selektive Überschreitung Mut macht auf mehr. Ein heißer Tipp für den Einstieg ins alpine Klettern: Ulli, da Tanzbodn is insa! durch die einzigartigen Plattenschüsse der Zwölfer-Ostwand erhält für diesen Zweck eigentlich nur gute Kritiken. Höhere Weihen finden sich in den NW-Wänden des Rotgschirr. Und wenn sich die mittlerweile sehr strammen Wadeln immer noch nicht von der Röll lösen wollen, dann empfehlen wir zur Erholung eine überraschungsreiche Schnuppertour in die talnahen Hetzaukögelschluchten (quasi vor der Autotür, aber verdammt gut versteckt!). Zuletzt noch was für die Tourengeher: Vielleicht findet ihr unsere Bilderreise zur Schiüberschreitung Pyhrnpass – Bad Ischl schon im Sommer reizvoll.
Literatur: Rabeder: Alpenvereinsführer Totes Gebirge, 4. Auflage. München: Rother 2005.