Hafner, 3076 m - Mureck, 2402 m

Der lange Weg über den östlichsten 3000er der Alpen.

Ankogelgruppe, Hohe Tauern, Muhr, Salzburg – Kärnten. Aufstieg insgesamt 4000 Hm (1. Tag: 2600 Hm/Biwak – 2. Tag: 1400 Hm).

Beim Kartenstudium nach unserer Schitour auf die Seemannwand haben wir beschlossen, der für uns bislang unbekannten Hafnergruppe auch im Sommer einen Besuch abzustatten. Auf Anhieb gereizt hat uns die Umrundung der Rotgüldenseen, eine Kette von scharfen Urgesteinsgraten mit einem Dutzend Gipfeln um die 3000er-Marke. Wir sind stets darauf bedacht, nichts in Routine ausarten zu lassen; zuviel gleiche Kost ist schwer verdaulich, sei es im Job, beim Verzehr von Sachertorten, beim Geigespielen oder auch auf hohen Tauerngraten, so schön es auch ist. Wir haben daher mitten auf der Tour umdisponiert – diese herrliche Freiheit beim Bergsteigen - und wurden nicht postwendend als Abtrünnige bestraft, sondern mit einer Vielzahl von zusätzlichen Eindrücken bedacht, die uns die sture Beibehaltung des ursprünglichen Planes niemals hätte bieten können. Außerdem sind wir dadurch viel weiter herumgekommen als geplant und haben überdies den sommerlichen Spagat zu einer uns wichtigen Schitour geschafft …

ÜbersichtKarte: unser langer Weg über den Gr. Hafner

1. Tag: Parkplatz Arsenhütte im obersten Murtal – Rotgüldenseehütte, 1739 m – Salzkopf – Silbereck, 2810 m – Kesselspitze – Oberer Lanischsee – Lanischscharte – SO-Grat Kl. Hafner, 3018 m – Übergang Gr. Hafner, 3076 m – WSW-Grat ins Wastlkar – Kölnbreinkar, hier Biwak auf knapp 2600 m.
2. Tag: Weinschnabelscharte – Abstecher Kaltwandspitze NW-Gipfel, 2781 m – Übergang Weinschnabel – Muritzenscharte – SSO-Grat Marchkareck – Unterer Schwarzensee – Schmalzscharte – Albertbiwak – Schöderhorn, 2475 m – Mureck – Murtörl – Murtal – Sticklerhütte – Parkplatz Muritzen – Arsenhütte.

Rotgüldensee mit Gr. HafnerUlli auf dem Silbereck, der lange Weg zum Hafner

Fast zeitgleich mit einem zweiten Paar überschreiten wir in aller Früh den Staudamm des Unteren Rotgüldensees neben der stattlichen Hütte gleichen Namens. Wunderschön spiegelt die glatte Fläche morgendliche Farbnuancen der Hafnersilhouette. Die ersten 1400 Hm bringen uns aufs Silbereck, einen schönen, viel besuchten Gipfel. Der abwechslungsreiche Anstieg wird lediglich durch die elend zu begehende, nordseitige Rinne unterhalb des Eisenkopfs getrübt, eine barmherzige Seele hat zum Trost wenige Minuten unterhalb des Gipfels einen hölzernen Tabernakel errichtet. Inhalt: Eine gefüllte Schnapsflasche, an der wir uns allerdings nicht vergreifen - allzu sehr sind wir auf unsere horizontumgreifenden Grate fixiert. Das halbe Dutzend Besucher verfolgt überrascht unseren Abstieg vom Gipfelkreuz nach der falschen Seite, direkt gegen die beiden Hafner hin. Ein leicht begrünter, schmaler Grat mit vielen kurzen Kletterstrecken leitet im Bogen hinüber zur Kesselspitze.

am Gratübergang vom Silbereck zur KesselspitzeGratscharte am Silbereck SW-Grat gegen Petereck und Ankogel

Am Gipfel kurze Begegnung mit einem Alleingänger. Ebenso überrascht wie wir, auf diesem entlegenen Berg jemanden anzutreffen, ist er im nächsten Augenblick auch schon wieder verschwunden. In der Scharte vor der Kesselwand mit ihrem überhängenden Gratausbruch verlassen wie die Schneide und halten uns in langer Querung hinüber gegen den Oberen Lanischsee, zu verlockend ist das einladende Grün der weiten Kare.

Kesselspitze gegen Kesselwand und AnkogelJausenzeit im Oberen Seekar, im Hintergrund Kesselwand und Kesselspitze

Der folgende Anstieg auf die Lanischscharte war noch vor wenigen Jahren gefürchtet. Wir selbst sind vor einer Stunde Zeugen eines Felssturzes in der benachbarten Ostwand des Lanischecks geworden. Einstmals reichte der Firn des Keeses bis zur Kammhöhe, nach Abschmelzen des Gletschers kamen schwer begehbare Steilflanken zutage. Die beste Möglichkeit bot laut Buchenauer-Führer eine klammartige, enorm brüchige und steinschlaggefährdete Rinne mit fast senkrechtem Eis am Klammende. Die Leiche eines Alleingängers, der Mitte der 60er-Jahre den Übergang gewagt hatte, wurde nie mehr gefunden. Die heutige versicherte Steiganlage bringt ohne Probleme auf den aussichtsreichen Kammscheitel. Auch am SO-Grat des Kleinen Hafners finden sich ein Drahtseil und rote Punkte. An dieser Stelle wachsen – von Osten kommend – die Alpen erstmals über die 3000er-Grenze hinaus (so lernt man es zumindest in der Schule; die östlichsten 3000er sind streng genommen Mittlerer und Großer Malteiner Sonnblick knapp 3 km südöstlich). Der Gipfel des großen Bruders erscheint von hier als schlankes, unnahbares Hörnerpaar vor der weit sanfteren Gletscherkulisse des Ankogel.

Rückblick von der Lanischscharte Lanischscharte mit Kl. und Gr. HafnerUlli am Gipfel des Kl. Hafner, dahinter die HochalmspitzeTiefblick vom Kl. Hafner auf die RotgüldenseenBlick vom Kleinen hinüber zum Großen Hafnereine schmale Felstreppe - die letzten Meter am Ostgrat des Gr. Hafner

Der Übergang, insbesondere der Steilaufschwung links oberhalb der Scharte, ist dann aber leichter zu zähmen, als es von Weitem den Anschein hat. Die brüchig und erdig erscheinende, alles andere als einladend wirkende Rutsche liegt schnell unter uns. Ein Felsfenster mit Durchblick auf die Rotgüldenseen und die abschließende schmale Grattreppe zum Gipfelkreuz sind die unvergesslichen Attribute dieses stolzen Tauerngipfels.
Mittlerweile ist es Nachmittag geworden, weit über 2000 Aufstiegshöhenmeter haben sich angesammelt. Pittoresk der Abstieg über den WSW-Kamm, die Hafnerschneid - Hunderte nadelspitze Steinmänner versuchen den Ausblick auf Hochalmspitze und Ankogel zu verstellen. 300 m tiefer verlassen wir die Schneid über eine kurze, mit Drahtseilen gesicherte Flanke nach Norden. Wir queren unterhalb des kleinen, aber spaltenreichen Wastlkarkeeses über endlose Geröllhänge hinunter zum Verbindungssteig Kattowitzer Hütte – Sticklerhütte, „an den sich allerdings nur sehr ausdauernde Hochalpinisten bei gutem Wetter wagen sollten“ (AV-Führer). Auf ihm wollen wir uns morgen in den Tauern-Höhenweg einklinken. Oft liegen selbst riesige Geröllbrocken nur labil auf, was sich über längere Abschnitte als etwas lästig erweist. Irgendwann erreichen wir aber die Markierungen und damit zauberhaft vegetations- und wasserreiches Almgelände. Ein reizvoller Kontrast zu den kilometerlangen, düsteren Felsgraten. Vorbei an fantastisch gefärbten Wasserstellen und grün-weißen Wollgrasseen laufen wir entspannt ins benachbarte Kölnbreinkar hinüber und suchen uns einen Biwakplatz.

Ulli am Verbindungsweg Kattowitzer Hütte - Sticklerhütte, darüber die Hafnerschneidunser Biwakplatz im Kölnbreinkar, darüber PetereckBlick vom Biwakplatz auf Kölnbreinsperre und Ankogelschlafbereite Ulli

Schon in der Morgendämmerung sind wir bereits unterwegs, wieder fängt uns das unwirtliche Grau der Hochlagen ein. Viel Geröll, dann Schneefelder hinauf in die Weinschnabelscharte. Frei von Gepäck laufen wir auf den NO-Gipfel der Kaltwandspitze und gleich noch hinüber auf den Weinschnabel, mit dem wir den Hauptkamm der Hohen Tauern erreicht haben. Die Aussicht und der ulkige Name des Berges wird auch schon Sepp Schintlmeister angelockt haben: Ihm ist am Neujahrstag 1931 die erste Winterbesteigung gelungen, bevor er sich eineinhalb Jahre später mit der Erstbegehung der berühmten Dachl Nordwand im Gesäuse einen Namen gemacht hat.
Am Weg hinunter in die Muritzenscharte begegnen wir zwei älteren Herren mit Pinsel und Farbe, viele Stunden entfernt von der nächsten Hütte. Liselotte Buchenauer beklagt schon vor 40 Jahren die schwindende Bereitschaft für gemeinnützige Arbeiten im Gebirge. Heute finden sich immer weniger Idealisten, die bereit sind, im Frühsommer schwierige Steigabschnitte auszuschaufeln. Zumindest in diesem Teil der Tauern lässt man die alten Übergänge jedoch nicht verfallen.

am Tauern-Höhenweg zwischen Muritzenscharte und SchmalzscharteOberer Schwarzsee mit Frauennock

Die Erkletterung des Marchkareck SO-Grates (im Führer mit II bewertet) brechen wir hinter dem Felsturm auf halber Höhe ab. Zu riskant scheint der brüchige Steilaufschwung dahinter, wieder erweist sich im Nachhinein die tief unten vorbeiziehende Steiganlage als lohnender: Sanierte Klettersteigeinlagen über den glitzernden Schwarzseen, atemberaubendes Formen- und Farbenspiel auf der Schmalzscharte und schließlich noch ein gepflegtes, gemütliches Refugium mit bezogenen Federbetten - das Albertbiwak hoch über der Murquelle.

Spiel der Farben am Unteren SchwarzseeRückblick von der Schmalzschartevon der Schmalzscharte zum Murtörldas Albertbiwak am NO-Grat des Marchkarecks, ...... ein gepflegtes RefugiumSchafherde in der Oberen Schmalzgrube, dahinter die Radstädter Tauern

An sich wäre die verbleibende direkte Strecke - hinunter zum Ursprung des längsten steirischen Flusses und die lang gezogene Schleife über die Sticklerhütte hinaus zum Auto am Arsen-Parkplatz - noch weit genug. Wir haben aber einen triftigen persönlichen Grund für eine Fleißaufgabe. In einiger Entfernung entragt das Schöderhorn dem leicht begrünten Hauptkamm. 1999 hatte Erich ja während unserer Sanierungsarbeiten „in“ der Schermberg Nordwand seinen unterirdischen Unfall. 3 Monate später, nach der Halbtages-Hermit-Trail–Aktion im Grand Canyon, war das Schöderhorn aus dem Großarltal die zweite ernst zu nehmende Belastungsprobe für das genagelte Wadenbein und den wiederhergestellten Innenknöchel. Damals blickten wir voller Entdeckerlust gegen die Hafnergruppe, aus der wir jetzt soeben kommen. Natürlich möchten wir uns das fehlende Verbindungsstück noch einverleiben. Vorbei an zutraulichen Schafherden erreichen wir beinahe mühelos den Sattel zwischen Schöderhorn und Mureck und sind bald darauf am Ziel. Angesichts der Rundsicht hier oben verdichtet sich der in der letzten Stunde aufgekeimte Plan einer großzügigen Schiüberschreitung (Schöderhorn - Weinschnabel) zum Pflichtprogramm für den nächsten Winter.

Erichs zutrauliche FreundinnenRückblick vom Schöderhorn gegen Hafnergruppe

Auf dem letzten Gipfelkreuz unseres langen Weges über den Großen Hafner steht zu lesen, wie das Eck heißt. Wenige Minuten später betreten wir die Nahtstelle zwischen Hohen und Niederen Tauern, das Murtörl – und kommen wieder unter die Leute.

wir zwei am letzten Gipfel unseres langen Weges über den Gr. Hafnerheimwärts entlang der jungen Mur
(16.8.2007)

Literatur: Buchenauer: AV-Führer Ankogel- und Goldberggruppe. München: Rother.

Rechtliche Informationen