Klettern unterm dritthöchsten Inselvulkan der Erde
Die bekannte Urlaubsinsel vor der Küste Westafrikas zeigt zwei höchst widersprüchliche Gesichter: eine besonders im Südwesten beinahe schon abstoßend wirkende Ferienindustrie als maximaler Kontrast zu beinahe unberührten Naturwundern, die eigentlich den Vergleich zu pazifischen Trauminseln nicht zu scheuen brauchen. Für uns ist Teneriffa aufgrund ihrer wirklich überraschenden landschaftlichen Höhepunkte (s. Hinweise am Ende des Beitrags) vorrangig eine Wanderinsel, dennoch kann man sich zusätzlich während des ganzen Jahres in den rund um die Insel verteilten Klettergebieten austoben. Es findet sich vorwiegend vulkanisches Gestein, Ignimbrite oder Schmelztuffe (lockere bims- oder auch aschereiche Ablagerungen, die später unter hoher Temperatur „verschweißt“ worden sind) und Trachybasalte. Das bedeutet für an Kalk gewöhnte Mitteleuropäer eine gewisse Umstellung, anfängliche Skepsis wird aber bald in helle Freude umschlagen.
Das Klettern schärferer Richtung hat hier seine Ursprünge in den frühen 80er-Jahren, wo sich in Tabares, einer Schlucht am Nordrand der Hauptstadt Santa Cruz, die Szene etablierte. Der aktuelle Sportkletterführer listet 940 Routen auf, der britische Einfluss ist unverkennbar - gleichberechtigt existieren teils sehr kühne Trad-Touren mit eingebohrten Routen. Die spärlichen Aufleger ertastet man auf dunklen, vulkanischen Farbtönen, meist unübersehbar markiert durch die weißen Chalkflecken. Schnurgerade Fingerrisse mit Meerblick im satten Rot des amerikanischen Südwesten kontrastieren zum unvergleichlichen, helleren Gestein oben im Riesenkrater des Teide, des oft schneebedeckten höchsten Berges Spaniens. Die Bewertungsskala beginnt bis einschließlich V+ in römischen Ziffern und setzt sich in französischer Manier fort, wobei den unteren Graden nicht immer ganz zu trauen ist - eine der frühen Touren in Tabares (Butterfingers VI+ aus dem Jahr 1983) wird heute mit 7a bewertet. Wirklich leichte Pläsierkletterei ist eher selten, bis auf Ausnahmen finden sich absolut lohnende Genussschinderhappen jenseits der französischen 6er-Schwelle.
Wir beginnen die Erkundung aller Gebiete im traditionsreichen Tabares, umrunden die Insel gegen den Uhrzeigersinn bis zum Schmelzpunkt mit den meisten Optionen rund um Arico im Südosten und steigen zuletzt hinauf in den UNESCO-Weltnaturerbe-Krater in über 2000 m Höhe.
Tabares
Im Schluchtkessel unterhalb eines Vorortes in den Bergen nördlich der Hauptstadt befindet sich die Geburtsstätte des Klettersports auf Teneriffa; macht heutzutage einen eher verlassenen Eindruck. Weit über 100 Routen in alle Himmelsrichtungen, in der Mehrzahl selbstabzusichernde Trad-Risse mit eingebohrten Linien in den Wänden dazwischen.
Vistamar
An den malerischen Acentejo-Klippen unterhalb stolzer Ferienhäuser. 30 eingebohrte Sportkletterrouten bis zu 20 m Höhe von 6a bis 7c+.
Martiánez
Bizarre Location inmitten der zweitgrößten Stadt Puerto de la Cruz, oberhalb eines beliebten Strandes. Dennoch eine der ganz wenigen negativen Überraschungen auf der Insel - seht selbst, warum!
San Marcos
Ebenfalls in urbaner Umgebung oberhalb des gleichnamigen kleinen Hafens. Knapp 50 interessante Routen bis 25 m zwischen V+ und 8a+, fast alle eingebohrt.
Guaria
Der Platz gibt einen leichten Vorgeschmack von den wirklich spektakulären Wanderschluchten über der Westküste quasi ums Eck (Barranco del Infierno, Barranco Seco, Barranco de Masca; s. Link unten). Wegen Lage, Qualität und Länge der Routen (manchmal über 35 m) für viele Kletterer das beste Gebiet auf Teneriffa. Über 100 Routen, ca. ein Drittel davon Tradclimbing.
Las Vegas
Im Südosten häufen sich westlich von Granadilla (die neuen Gebiete La Martela und Jama) bis weit hinter Arico die Klettergebiete. Zahlreiche gar nicht sehr tiefe Schluchten zeichnen den Weg der alten Lavaströme nach und bieten heute das reichste Routenangebot auf der Insel. Der Barranco oberhalb des Bergweilers Las Vegas überrascht mit einer Fülle von Routen, Sport- und Tradklettern halten sich in etwa die Waage. Beim Zustieg kann es ganz schön stachelig werden.
El Río
Der sehenswerte, zeitweise von einem Stausee erfüllte Barranco gliedert sich in mehrere Teilbereiche, die sich langsam zu einer unbegehbaren Klamm verengen. Wieder an die hundert einladende Linien bis 8b, in der abgetrennten Zona Zero unterhalb des Ortes noch einmal zwei Dutzend, überwiegend eingebohrt.
Arico
Das ausgedehnteste Gebiet auf Teneriffa, eine lange Schlucht voller schöner Lines, nicht allzu hoch, aber dafür reichhaltig. Oberhalb der Brücke werden auch der Einsteiger und Normalverbraucher fündig, unterhalb fast nur schwerere Hämmer. Zusammen mit dem etwas abgelegenen (4 km von der Gabelung), aber fotogenen Sektor Los Naranjos ca. 250 Routen - alle Hände voll zu tun!
La Galería
Ein Amphitheater überhängender orangefarbener Felsen hoch über dem Meer mit knapp 2 Dutzend Routen bis 8c+, manchmal über 30 m hoch. Vorsicht mit Kindern, der Zugang führt auf einem abschüssigen Band durch die Mitte der Wandzone. Landschaftlich wie klettertechnisch aufregend!
Cañada del Capricho
Das erste Sportklettergebiet mit eingebohrten Routen ist gleichzeitig das höchstgelegene (über 2200 m, sollte es selbst im trockenen Süden einmal zuziehen, kann man hier oben meist immer noch unter blauem Himmel klettern) und für viele das abgefahrenste auf Teneriffa. Eine fantastische steinerne Stadt mit unfassbar edlem Fels am Fuß des 3718 m hohen Teide. Gleich gegenüber als Gegenpol die Roques de García, wo Tradclimbing überwiegt (z. B. am berühmten Felsen La Catedral).
Allgemeine Reise-Infos sowie Links zu weiteren Touren auf Teneriffa findet ihr zu Beginn bzw. am Ende des Beitrags zum Teide Nationalpark.
Literatur: Martín-Carbajal: Tenerife. Escalada deportiva. Spanisch, englisch. Santa Cruz de Tenerife: Turquesa 2012.