Schimpelspitze, 2413 m – Deneck, 2425 m
Stimmiges Rundum-Abenteuer über den Sölktäler (+Gleitschirm)
Schladminger Tauern - Hauptkamm, St. Nikolai, Steiermark. Aufstieg insgesamt 3200 Hm (1. Tag: 1900 Hm/Biwak – 2. Tag: 1300 Hm). Gleitflug vom Deneck nach St. Nikolai (oder Abstieg über die Kaltenbachseen zur Sölkpassstraße).
1. Tag: St. Nikolai/Großsölktak – Bräualm – Hohensee – Schimpelbach Hochtal. Hier Gepäckdepot. – Schimpelscharte – Schimpelspitze – Süßleiteck, mit 2507m der höchste Punkt der Überschreitung – Schrein – Sauofen – Hüttkar zurück zum Depot. Biwak.
2. Tag: Hüttkar – W-Flanke auf den Schimpelgrat (Süd- und Hauptgipfel) – Dürrmooshöhe – Breitmodl – Deneck (W-Gipfel) – Gleitflug nach St. Nikolai.
Unter den Gebirgsgruppen der Niederen Tauern, dem östlichen Rückgrat Österreichs zwischen Seckau/Knittelfeld und dem Murtörl, sind die Schladminger Tauern die wildesten. Auf Kilometer langen Zackengraten trifft man kaum jemals Menschen, man erblickt auch keine Besiedlung, so weit das Auge die endlosen Täler hinausschweift. Eine unendliche Weite innerhalb eines kleinen Landes, herausfordernde Felsberge mit zahllosen Hochgebirgsseen, großer Wildreichtum und im Spätsommer Unmengen an Heidel- und Preiselbeeren. Mit ihrem Wasserreichtum und der großen Auswahl an perfekten Biwakplätzen laden die Tauern zu großzügigen Unternehmungen ein, für den alpinen Gleitschirmflieger öffnen sich (anders als in den Kalkalpen) ausgedehnte baumfreie Talschaften für problemlose Landungen.
Erich hat bereits in den 80er-Jahren damit begonnen, den gesamten Tauernhauptkamm der Länge nach zu begehen. Dabei hat er in den Seckauer, Triebener, Rottenmanner und Wölzer Tauern über 100 Gipfel überschritten. Zusammen wollen wir diesen Skywalk fortsetzen, die aktuelle Etappe einmal in Gegenrichtung. Wir haben uns auf ein vielseitiges Abenteuer gefreut: Das Zurücklegen weiter Strecken in großer Einsamkeit, willkommene Abwechslung durch längere Kletterpassagen, zuletzt Abgleiten zum Ausgangspunkt - wir sind nicht enttäuscht worden. Schlafsack und Gleitschirme waren dabei.
Verzaubert von der Idylle des kleinen Hochtals werfen wir unser voluminöses Gepäck kurz unterhalb des Breitenbachsees auf knapp 1900 m neben dem Schimpelbach ins Gras. So sind wir gezwungen, zu diesem herrlichen Plätzchen zurückzukehren und kommen darüber hinaus in den Genuss einer ballastfreien Überkletterung der folgenden Urgesteinsgrate. Kurz darauf stehen wir in der Schimpelscharte und der Spaß kann beginnen. Der Südstau schafft ein zwar fotogenes, aber auch etwas ernstes Ambiente – für den Rest des Tages liegt das rechte Ohr im Nebel und das linke in der Sonne. Die Grate sind allesamt nicht so brüchig wie erwartet, will man einmal in die schrofige Südseite ausweichen, gibt es meist manierliche Gämsfährten. Nach NW, vorbei an den abenteuerlichen Hasenohrenspitzen, wird der Blick auf den Ohreneckgrat frei, dessen erste Überschreitung Erich im Herbst 1991 gelungen ist (s. Holl-Führer).
Lediglich die Überschreitung des Schrein, dessen Erstbesteigung eines der Kabinettstücke im Leben der Liselotte Buchenauer darstellt, ist etwas heikel. Die Erkletterung der etwa 60 m hohen Westkante, Schwierigkeitsgrad 3, sieht wilder aus, als sie ist (am Gipfel eine große Kassette mit einem leider völlig durchnässten und vergammelten Buch), der Abstieg an der Ostseite über die augenscheinlich günstigste Möglichkeit, eine plattig-grasige Verschneidung, verlangt ungesichert äußerste Konzentration; die freundlichen Mienen der omnipräsenten Steinbockfamilie können auch nicht wirklich helfen. Entspannend dafür noch die kurze Etappe hinüber auf den Sauofen und die wunderschönen, schon halb zugefrorenen Seen auf dem Weg ins Hüttkar hinunter. Rechtzeitig vor Einbruch der Dunkelheit erreichen wir zufrieden unseren Biwakplatz und richten uns häuslich ein, Käsekrainer und frisches Bauernbrot von den Hirschbergern und sogar ein Bier werden aus ihrem Versteck im Gleitschirm geholt.
In der Früh ist der Gleitschirm, den wir als Biwaksack benutzen haben, mit einer Eisschicht bedeckt, dennoch war die Nacht sehr gut zu überstehen. Im Umkreis von fünf Minuten finden sich hier heroben zwei rührende, uralte Gedenkstätten, die an den Tod zweier Bäuerinnen erinnern. Ein unerwarteter Wintereinbruch während der Suche nach dem Vieh ist ihnen zum Verhängnis geworden.
Bald sind wir wieder im Hüttkar drüben und tüfteln mit wachem Instinkt an einer möglichst geraden, aber gutmütigen Linie durch die teils eisige Westflanke auf den Schimpelgrat, der Fortsetzung unseres gestrigen Hauptkamm-Abenteuers. Heute haben wir wieder volles Gepäck, genießen aber trotzdem die schöne Zackenreihe zwischen Süd- und Hauptgipfel. Lustig die widersprüchlichen Bemerkungen über den gesamten Schimpelgrat im Holl-Führer: „Lange, lohnende Kletterei. Selten durchgeführt und nur für den empfehlenswert, der den Großteil des Anstieges seilfrei beherrscht (da sonst durch eine kaum überbietbare Monotonie nicht nur psychisch ermüdend, sondern auch zeitraubend).“ - Hier zeigt Bergsteigen wieder einmal seine Verwandtschaft zur Kunst – auch wenn es oft an zwingend logischen Verknüpfungen mangelt, der Sinn ist klar für jeden, der solches schon erlebt hat ...
Das verbleibende Wegstück ist eine berauschende Wanderung durch die herbstliche Farbenwelt. Wie ein gigantischer Steg leitet die Dürrmooshöhe von einem Bergriesen zum anderen, überladen mit reifen Preiselbeeren. Auf Breitmodl und Deneck addieren sich noch etliche Hundert Höhenmeter, der Westgipfel des Letzteren ergibt sich wieder leichter, als es von Ferne den Anschein hat, und beschert uns einen Startplatz, der sich für unsere Oldtimer geziemt – kein Klippenstart, aber auch nicht zu flach. In dieser Ecke der Tauern haben wir auch in der Luft schon einiges erlebt. Erichs erster Höhenflug überhaupt: 1987 über die Kaltenbachseen am Sölkpass, nach der damals üblichen, völlig unzureichenden Ausbildung reichlich blauäugig allein ins Hochgebirge entlassen. Eineinhalb Monate später gleich gegenüber vom Knallstein, Leestart mit mehr Glück als Verstand, ein Flug in gnadenlosem Pionierzeit-Ambiente. Vor einem Jahr nach langer Pause einer der ersten gemeinsamen Flüge von der Scheiben, dem Auslauf des Schönwetterkammes. Und heute vom Deneck über 1.300 Hm hinunter auf dieselbe Landewiese, in Rufweite zur Kirche von St. Nikolai.
Wer festen Boden unter den Füßen behalten will, kann natürlich über die Kaltenbachseen zur Sölkpassstrasse hinunter marschieren, ab Deneck-Südgipfel gibt es einen markierten Wanderweg.
Die Fortsetzung der Hauptkammüberschreitung nach Westen präsentieren wir euch in der Eintagesrunde Bauleiteck - Edelfeld.
(10.-11.10.2007)
Literatur: Holl: Alpenvereinsführer Niedere Tauern, 6. Auflage. München: Rother 1995.