Totes Gebirge - Gesamtüberschreitung
Ostertrilogie zwischen Pyhrnpass und Bad Ischl.
Steiermark - Oberösterreich. Luftlinie (gemessen nur die groben Richtungsänderungen) ca. 70 km. Aufstieg ca. 5000 Hm, aufgrund der ständigen kleinen Gegensteigungen aber sicherlich mehr.
Das Tote Gebirge gehört für uns zu den Kronjuwelen der Alpen – und unserer persönlichen Geschichte. Pittoreske Täler, sanfte, idyllische Almen, eindrucksvolle Riesenwände bis 1400 m Höhe und das in Europa einzigartige Plateau sorgen für zahllose Landschaftsvariationen. Die größte Hochfläche der Alpen lässt in ihrer Ausdehnung die benachbarten Plateaus von Hochschwab, Höllen- und Tennengebirge in sich aufgehen.
Schon als Teenager (um 1970) wird Erich von dieser unvergleichlichen Bergwelt geprägt, 30 Jahre später gelingt unser erster gemeinsamer großer Wurf am Schermberg, andere folgen, s. unsere Neutouren. Natürlich haben wir schon lange den Wunsch, in einem Zug das gesamte Gebirge zu durchmessen und damit alle darin bisher gemachten Erlebnisse in einem großen Puzzle zusammenzufügen. Bei einer Tour auf die Tragln und dem damit verbundenen, unverschämten Blick aufs Zentralplateau haben wir uns endlich geschworen, bei nächster Gelegenheit die Gesamtüberschreitung anzugehen. Anreise und Heimfahrt erfolgen sinnvollerweise mit der Bahn. Mit im Gepäck sind Biwaksack, zwei aufblasbare Isomatten und ein Schlafsack, den wir wie immer als gemeinsame Decke benutzen – so sind wir in der Zeiteinteilung frei und von Hütten unabhängig. Unentbehrlich ein kleiner Gaskocher – so gut wie kein Schmelzwasser auf der ganzen Tour!
Im Folgenden grundlegende Infos zu den einzelnen Etappen, genauere Details findet ihr wie immer auch in den Panoramen und Bildtexten.
Gründonnerstag. Der Auftakt: Pyhrnpass – Interhüttenalm.
Pyhrnpass – Hintersteineralm – Gschwandgraben – Aiblhütte – SO-Flanke auf den Angerkogel – Abfahrt NW-Rinne – eher zähes Gelände westl. zu den Löckerböden – Brunnalm – Liezener Hütte – Hochmölbinghütte – Sumperalm – Abfahrt Grimmingboden – Grimmingtal – Natterngraben – Gamsofensattel – Interhüttenalm.
Nach dem Straßenmarsch vom Bahnhof in den Ort Spital am Pyhrn (Vorsicht: Frühbus auf den Pass nur wenn Schule in Steiermark!) erbarmt sich eine mitleidige Seele und bringt uns zur Abzweigung der Straße zur Hintersteineralm, einen Kilometer hinter der Pyhrnpasshöhe. Hier stehen wir definitiv am östlichsten Rand des Toten Gebirges, der Bosruck in unserem Rücken wird bereits den Ennstaler Alpen zugerechnet. Unsere Tour durchmisst also von hier bis Bad Ischl die maximale Längenerstreckung des gesamten Gebirgszuges, auf die Wurzeralm-Standseilbahn greifen wir nicht zurück.
Um Höhenmeter zu sparen, haben wir ursprünglich vorgehabt, dem Graben des Hintersteinerbaches hinauf zum Gscheidriedel zu folgen, um beim Eisernen Bergl auf die bequeme Wintermarkierung zu treffen. Der verlockenden Spur zum Hochanger, dem südöstlichsten 2000er des Toten Gebirges, konnten wir dann doch nicht widerstehen. Wir haben diesen schöner Auftakt für die große Linie nicht bereut. Lediglich das Gelände zwischen Angerkogel und Löckerböden entpuppt sich als ziemlich knifflig, wahrscheinlich besser zum Angerersattel abfahren und sich dann die Wintermarkierung suchen.
Ab Brunnalm problemlose, reizvolle Schiwanderung, in der Liezener Hütte nur einfacher, kahler Winterraum mit Decken, die Hochmölbinghütte bewirtschaftet. Eine außergewöhnlich schöne Aussichtsterrasse kurz oberhalb der Sumperalm, ein völlig unerwartetes, neuartiges Landschaftsbild nach der anregenden Abfahrt ins lange Grimmingtal.
Die Wegsuche entlang oder hoch über dem reißenden Fluss kann viel Flexibilität erfordern, der Steg übers wilde Wasser ist nicht leicht zu erreichen, wir überwinden die Barriere 200 m vorher auf einer Schneebrücke, die schon aus dem letzten Loch pfeift. Wer ins eiskalte Wasser rutscht, hat keine guten Karten mehr. Auch der folgende 300-m-Gegenaufstieg durch den Natterngraben in den versteckten Sattel hinterm Gamsofen ist vor Abgang der großen Lawine nicht wirklich berechenbar. Alles in allem kann dieser Waldabschnitt technisch gesehen wesentlich heikler sein als alles, was am Zentralplateau gefordert ist. Für heute reicht’s uns – der einladende, apere Windkolk an der Südseite des ersten Häusels der Interhüttenalm lässt uns nicht mehr vorbei. Ulli findet zu allem Überfluss unter der Hütte eine dicke Pressspanplatte, die uns als ebene, trockene Schlafplattform gute Dienste leisten wird.
Karfreitag. Die Königsetappe: Zentralplateau – Appelhaus.
Querung der Almflächen nach Westen – Steigtal – Leisthüttgrubach – Grubstein – Sigistalhöhe – Traglhals (hier Abzweigung unserer Schiüberschreitung Wienerwald - Lienz/Osttirol nach Bad Mitterndorf zur Dachstein-Überschreitung) – Schneiderkare – Abfahrt Mäuerltal – Gastkarkogel (Brunnkogel) – Vorderer Ofenkogel – Abfahrt Ofenloch – Hetzkogelsattel – Abfahrt Elmflecken/Elmzageln zwischen Röllsattel und Pühringerhütte – O-Flanke (Hochbrett) auf den Hochkogel – Abfahrt W-Flanke – In den Wiesen – Kniekogelsattel – Wiesenlacke – Jägerbrünndl – Katzenmoos – Hüttenmoos – Albert Appel Haus.
Allein die zweite Tagesetappe entspricht beinahe der Längsüberquerung des Hochschwab vom Seeberg zur Gsollkehre bei Eisenerz. Das hoch gelegene Zentralplateau ist natürlich einer der Höhepunkte der Überschreitung. Seinen Nimbus hat es aufgrund seiner Weitläufigkeit erlangt, bei schönem Wetter und guten Verhältnissen ist diese Kernstrecke aber oft problemloser zu überwinden als die Waldzonen der beiden Randetappen. Wir persönlich können und wollen keinen Abschnitt bevorzugen, jeder hat ein außergewöhnliches, individuelles Gepräge.
Nach einer erstaunlich warmen Vollmondnacht peilen wir das schon vom Biwakplatz sichtbare Kar (Leisthüttgrubach) zwischen Grubstein und Gamsspitz an, den direkten Weg in Richtung Traglhals - unserer Eingangspforte zum berüchtigten Zentralplateau. Vom breiten Sattel zwischen den beiden Gipfeln steigt man unschwierig zu Fuß in den nächsten Sattel ab, von dem nach NO das Sigistal, eine der schönsten Abfahrten des Toten Gebirges, in die Baumschlagerreith und weiter nach Hinterstoder führt. In wenigen Minuten sind wir dann auch schon am Traglhals (hier noch einmal der Link für die tolle Geisterwald-Abfahrt ins Öderntal oder zur Tauplitz; ihr müsst ihr auf unserer langen Spur vom Wienerwald nach Lienz/Osttirol folgen).
Die Stangenmarkierung am Zentralplateau ist tadellos; manchmal scheint sie etwas eigenartig gesetzt - die extremen Wettereinflüsse auf diesem entfernten Planeten verändern die Schneelandschaft andauernd, sodass es nicht immer möglich oder sinnvoll ist, dem kürzesten Abstand zwischen zwei Stangen zu folgen. Um Zeit zu sparen, ziehen wir zwischen Röllsattel und Pühringerhütte (neuer Winterraum!) in möglichst gerader Linie zum Hochbrett empor.
Wieder einmal eröffnet sich ein neuer Horizont vor unseren Augen, die Wintermarkierung wird dürftig, das im Wald versteckte Appelhaus ist von dieser Seite für Ortsunkundige schwierig zu finden, aber bei halbwegs diskutablem Wetter gibt es um diese Jahreszeit meist Spuren. Kein Mensch auf der Hütte, dafür Schmelzwasser aus der Dachrinne im Überfluss und zwei Kisten Bier im ordentlichen Winterraum – wir verzichten aufs zweite Biwak.
Karsamstag. Final Adventure: NW-Plateau – Bad Ischl.
Abfahrt Wildenseealm – O-Flanke auf den Rauchfang, ab hier keine Schimarkierung mehr – Querung der N-Flanken von Grießkogel und Gr. Wildkogel – S-Flanke Wehrkogel – Abfahrt Feuertal – Nestlerjagdhütte – Jagdsteig gegen die Nestlergrube. Vorsicht: Beschreibung im Text beachten! – Karkogelsattel – aufsteigende Querung zur einzigen Schwachstelle der Langwand – NO-Flanke Predigtkogel – Abfahrt NW-Hänge – Querung Langwand-W-Sporn – Mitterkaralm – Schneegruben – SO-Flanke Hochglegt, Rückzug wegen starker Tageserwärmung – Abfahrt Mitteralm – Bärenmoos – Halbweghütte – Rettenbach/Bad Ischl.
Erstaunlich früh stehen wir unter der steilen Gipfelflanke des Wehrkogel, der steilen Ostschulter des Schönberg (Wildenkogel, höchster Gipfel des westlichen Toten Gebirges); deshalb trauen wir uns noch zu Fuß in gerader Linie den südseitigen Steilhang hinauf. Ist man später dran, sollte man den Berg nordseitig umgehen (was nebenbei ca. 100 Hm einspart). Uns liegt so aber das gesamte Feuertal mit seiner Fortsetzung, dem Kessel zwischen Vorderen (lt. AV-Karte oder Hinteren lt. ÖK?) Rauhenkogel und Möselhorn zu Füßen - fast 700 Hm berauschende Abfahrt. Es geht langsam dem Ende zu, trotzdem kann man sich gerade hier unten, im Bereich der Nestlerjagdhütte, als Ortsunkundiger mehr verhauen als sonst wo auf der Überschreitung. Haltet euch genau an die eingezeichnete Route, d. h. so hoch wie möglich den Auslauf des Möselhorn-Nordspornes nach W queren auf den schmalen, ebenen Boden knapp südlich des kaum sichtbaren Jagdhauses. Dann aus der tiefsten Stelle des Bodens keinesfalls die verlockende Rinne Richtung Karkogel hinauf (die beiden in der ÖK angedeuteten Steilrampen Richtung Predigtkogel sind äußerst steil und absturzgefährlich! Verbringt man hier alljährlich seinen Urlaub oder hat man die AV-Karte zur Hand, kommt man ohnehin nicht auf die Idee, dort oben herumzusuchen). Sondern: Im Bereich des meist noch tief verschneiten Jagdsteiges die einzige Schwachstelle der bis zu 100 m hohen Wandstufe westl. hinunter finden. Man gelangt so in eine versteckte, aber gut begehbare Rinne noch oberhalb der hämisch heraufgrinsenden Nestlergrube, in die man Gott sei Dank nicht mehr abfahren muss. Das Ganze ist dicht bewaldet, von kaum überwindbaren Felswänden durchsetzt und unübersichtlich, nur manchmal erhält man kurz Durchblick auf die jenseitige Schwachstelle der Langwand (200 m nnw. des Langwandgupf) und wünscht sich dort hinüber. Wenn man’s weiß keine Hexerei, wenn man aber herumsuchen muss, wird einem schnell klar, dass die nächste Verkehrsanbindung noch relativ weit entfernt ist.
Trotz der warnenden Worte wollen wir niemanden aus dieser verwunschenen Ecke des Toten Gebirges fernhalten – gleich darauf bewegen wir uns ohnehin wieder in perfektem Schitourengelände und haben uns mit diesem Kniff durch die wildesten Meter der Überschreitung die preisgünstigste Verbindung zum letzten Edelstein dieser außergewöhnlichen Reise erkauft: dem NW-Plateau zwischen Predigtkogel und dem Schrottkamm, welches von den meisten Aspiranten zu Unrecht außer Acht gelassen wird. An dieser Stelle möchten wir auf eine hochkarätige Eintagesrunde von Norden auf diese paradiesischen Terrassen mit Abfahrt durch die fantastische Gimbachflanke des Mittagkogels verweisen.
Eindeutig zu spät dran sind wir jetzt aber am steilen Schrott-Südhang. Die Ulli pfeift den Erich zu Recht zurück, die weise Entscheidung bringt uns zwar um das Hochglegt, beschert uns aber dafür ein freundliches Ischler Geschwisterpaar, welches uns im Auto direkt zum Bahnhof chauffiert. Abfahrt zum eingekühlten Bier nach Linz in vier Minuten.
Literatur: Rabeder: Skiführer Totes Gebirge. Linz: Oberösterreichischer Landesverlag.
Heitzmann: Skitouren vom Gesäuse bis zum Salzkammergut. Graz: Steirische Verlagsgesellschaft, Edition Gutenberg.