Rote Säule, 2993 m

Sanfte Spur auf einen wilden Schizapfen. - Unsere 1000ste Tour.

Venedigergruppe, Osttirol. Aufstieg 1500 Hm.

Matreier Tauernhaus – Talstraße Außergschlöss – Felsenkapelle – Innergschlöss/Venedigerhaus – Ochsenalm – Sandeben – Gschlösskees – W-Flanke/oberer NW-Grat auf den Gipfel.

ÜbersichtKarteim Tal gibt es nur eine Stelle, die uns verrät, wie die Rote Säule zu ihrem Namen kommt - kaum jemand nützt beim Vorbeibrausen auf der Felbertauernstraße den kurzen Moment, in dem unser Berg sichtbar ist

Voller Optimismus brechen wir bei Nebel, starkem Wind und – wie im Winter 2010 üblich - nicht ganz koscherer Lawinensituation auf zu einer fantastischen Venedigerhauptkamm-Tour: endlose, perfekt geneigte Hänge gerade unterhalb der bedenklichen 30°-Grenze, ständige Prachtblicke, erst auf die Gletscherbrüche zwischen Großvenediger und Kristallwand, mit zunehmender Höhe bis zum Großglockner. Zuletzt ergibt sich – quasi durch die Hintertür – ein moderater Schiaufstieg bis knapp unter den Gipfel dieses Zuckerhutes, der - wie seine unmittelbaren Nachbarn - auf den ersten Blick nur Kletterern vorbehalten ist.
Vom längeren Forststraßenzustieg ins Innergschlöss (5 km einfach) sollte man sich keinesfalls abschrecken lassen. Im Sommer zählt er zu den schönsten Talwanderungen Österreichs und ist dementsprechend gut besucht. Die bezaubernden Sommersiedlungen, die Felsenkapelle, der wilde Gschlössbach, sanfte Talwiesen mit verstreuten, haushohen Felsblöcken, himmelhohe Eisfälle und schließlich der Gletscherblick auf das Herz der Venedigergruppe – all das rechtfertigt den Ruf als Fundgrube begehrter Kalendermotive. Überdies wird nach der Abfahrt der Rückweg hinaus zum Matreier Tauernhaus dank der Gefällestrecke hinter Außergschlöss sehr zügig vonstattengehen. Bei Lawinengefahr lauert allerdings in den engen Taletappen die größte Bedrohung der gesamten Tour.

die Felsenkapelle zwischen Außer- und Innergschlöss. Bereits 1688 erstmals errichtet, wurde sie zweimal von Lawinen zerstört; der heutige Bau stammt aus dem Jahr 1870Blick vom Innergschlöss talauswärts (nach O)

Bei fehlender Aufstiegsspur sollten Ortsunkundige beim Verlassen des Talbodens, ca. 400 m nach dem Venedigerhaus, besonders auf die Eintrittsstelle in den Waldgürtel achten: Sie befindet sich am westlichen Ende der großen Wiese, ca. 15 Hm über dem Talboden, etwa auf halbem Weg und genau unterhalb der Futterkrippe. Wir haben sie weiter oben vermutet und ziehen bei maximalem Tatendrang - aber minimaler Sicht - gerade hinauf, wo sich verfilztes Dickicht und eine supersteile Rinne schon die Zähne lecken. Mühsames Graben steilster Tunnel und eine beträchtliche Erweiterung unseres Wortschatzes waren die Folge; die Chancen auf den Gipfel sahen wir schon schwinden. Genau beim „Ausstieg“ auf die Ochsenalm zeigt sich urplötzlich die Sonne, das unwirkliche Panorama von Kristallwand und Hohem Zaun überrollt uns förmlich und bereitet uns ein Kalt-Warm-Erlebnis der Sonderklasse.

urplötzlich verfliegt die Nebelsuppe und die Mühsal der letzten Stunde wird belohnt; Erinnerungen an ein Biwak am Hohen Zaun anlässlich unserer großzügigen Venediger-Überschreitung werden aufgefrischtetwas weiter rechts steht der mächtige Vordere Kesselkopf, hinter dem sich Klein- und Großvenediger verbergendann geht's in gerader Linie über die Innergschlöss Ochsenalm emporüber endlose Mulden und Wannen kommen wir unserm Ziel langsam näherlinks hinten erkennt man den versteckten, flachen Zugang auf die Rote Säule; rechts der gespaltene Rote KogelBlick talaus zum Muntanitzkamm ...... und gegen SW auf die zentrale Venedigergruppenach N schließen die Zwillinge Hohe Fürleg und Plattiger Habach an, entlegene Berge mit zwei gewaltigen Abfahrtenüber das kleine Gschlösskees nähern wir uns von NW dem SchidepotAusstieg auf den NW-GratUlli an derselben Stelle knapp unter der GratschneideBlick nach N auf eindrucksvolle Tourenziele, die aus dem Hollersbachtal angegangen werden

Erst auf den letzten Metern zum Gipfel ist etwas Kletterfertigkeit gefragt, bei Vereisung sollte man ohne Steigeisen auf die letzten paar waagrechten Meter verzichten und im Sitzen seine Fotos machen. Staunend verharren wir an der Nahtstelle zweier unserer Mehrtagesunternehmungen, der Abretter–Fürleg–Runde über der Fürther Hütte und der Gschlösskamm-Großvenediger–Überschreitung, bis uns die Kälte hinunter zum Schidepot treibt.

Blick von den obersten Metern des Gipfelgrates nach O zu den Hohen TauernUlli schummelt sich über beinharten Schnee zum Gipfelein informatives Panorama: nach N ins Hollersbachtalnach NW zum Abretter und auf den herrlichen Kamm zwischen Hollersbach- und Habachtaldaran anschließend die Berge des Venedigerhauptkammesund schließlich im SW das zentrale Gletscherdachdie Abfahrt gleicht einem endlosen Schwelgen; hinten noch einmal der Abretter, der von dieser Seite am leichtesten zu ersteigen istbei vernünftiger Spurenwahl ist diese Abfahrt oft auch bei etwas heikler Lawinensituation erwägbarein letzter Blick auf die Rote SäuleBlick nach S zum Gschlösskamm; links Wildenkogel, rechts Äußerer Knorrkogel, darunter das Innergschlössungezügelte Kalligraphie an den Hängen der Ochsenalmden Tag perfekt genutzt - hinterm Venediger geht die Sonne unter

Das Felbertunnel-Südportal (genau darüber übrigens die verhältnismäßig kurze Pflichttour auf den Hochgasser) war für uns Nordalpen-Bewohner schon oft das Tor in die Sonne. Auch heute hat sich die Entscheidung als richtig erwiesen: Am Abend nach der Tour, zurück im schönen Land Salzburg, nehmen wir uns unter all den Feriengästen wie Karibikurlauber inmitten von Klosterschwestern aus.
(02.02.2010)

Literatur: Stadler/Philipp: Schitourenführer Hohe Tauern. Köngen: Panico 2017
Schranz: Hohe Tauern. Die schönsten Schitouren. Innsbruck/Wien: Tyrolia 2005.
Peterka: AV-Führer Venedigergruppe. München: Rother.

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