Kuhberg, 1415 m
Zu steil für Kühe, genau richtig für Schitourensäuglinge.
Mit ausführlichen Tipps zum Thema Schitouren mit Kleinkindern am Ende des Berichts.
Reichraminger Hintergebirge, Unteres Ennstal, Kleinreifling, Oberösterreich. Aufstieg 600 - 1000 Hm.
P Viehtaleralm, ehemals kleines Schigebiet am Ende der 6,5 km langen Bergstraße sw. Kleinreifling, B115 Ennstal-Bundesstraße - freie Hänge östl. hinauf zur Schulter der Übergangshöhe - NW-Kamm (Sommerweg) zum Gipfel.
Alternativ für umtriebige Entdecker bei genügend Schnee die 1000 m hohe N-Flanke direkt aus dem Ennstal (Auslauf des Hirnbachgrabens, ca. 3 km südl. Kleinreifling).
Der Kuhberg, südöstlichster Eckpfeiler des idyllischen Reichraminger Hintergebirges (Nationalpark Kalkalpen), ist in keinem Schitourenführer zu finden, hat aber gerade im Winter Überraschungen für jeden Geschmack parat. Einsteiger schätzen den schneesicheren, hohen Ausgangspunkt sowie die freien Flächen der einstigen Viehtaleralm-Pisten und werden den zweiten Teil der Tour, den steilen NW-Kamm ab Übergangshöhe bis zum Gipfelkreuz, meist zu Fuß zurücklegen. Abenteurernaturen finden ihre Ideallinie bei sehr guter Schneelage in der gewaltigen Nordflanke, in steilen Waldhängen und Schlägen zwischen einem System von Forststraßen.
Ronja zählt mittlerweile 6 Wochen und will sich - im Schutz ihrer Familie, samt den großen Brüdern sowie Tante und Onkel - nach all den Wienerwald-Versuchstouren einmal einen richtigen Gipfel geben. Alle miteinander staunen über die sensationelle Aussicht von diesem „Wald&Wiederkäuermugel“. - Und noch eine Premiere geht heute am Gipfelkreuz über die Bühne: Unser kleines Mädchen wird erstmals im Freien gestillt.
Weil es mit Ronja am Berg so gut gelaufen ist, haben wir mit ihr in den folgenden drei Jahren zu unseren üblichen Berichten eine 19-teilige Videoclip-Reihe produziert: Baby scales mountains. Die nächsten Folgen führen uns auf den Burgspitz, den Hochschwab und in weiterer Folge vom Toten Gebirge bis in die Zentralalpen.
An dieser Stelle ein paar praktische Tipps für junge Eltern, die sich wahnsinnig über ihr Baby freuen, mit einem weinenden Auge aber dennoch heimlich auf ihre aktive Vergangenheit zurückschielen. Den meisten von uns wird in den ersten Wochen erst so richtig klar, worauf wir uns da wirklich eingelassen haben. Unser Kind bemüht sich vehement um jede einzelne unserer freien Minuten, allein die Entwicklung der Verdauung macht die meisten Babys in den ersten Monaten zu ausgesprochenen Schreihälsen. Oft stehen wir hilflos daneben und raufen uns die Haare, weil wir nicht helfen können; doch das können wir sehr wohl, allein schon durch unsere Anwesenheit und Anteilnahme. Als schwacher Trost kann folgender Vergleich dienen: Auch beim Ausdauertraining geht nicht viel weiter, wenn's nicht ein bisschen weh tut. Schmerz ist notwendig, er stärkt uns genauso wie das Kind.
Eine Frau, die am Tag nach einem Dammriss 3. Grades im Spital 5 Stockwerke erklimmt, am zweiten Tag 20, am dritten 30, kann mit Schelte von der Schwiegermutter rechnen, aber auch folgende Anerkennung eines behandelnden Arztes zu hören bekommen: Das war das Beste, was du machen konntest! - dieser Ambivalenz sollten wir uns stellen, es wird weder zum Schaden unseres Kindes noch des elterlichen Wohlbefindens sein.
Mit einem Säugling auf Schitour zu ziehen, wird von vielen, die es noch nicht gemacht haben, wenn schon nicht für logistisch unmöglich, so zumindest für in höchstem Maße unverantwortlich gehalten werden. Wir haben uns erfolgreich an diese neue Erfahrung herangetastet und möchten euch mit Ronjas kleiner Schitouren-History Mut machen.
Ulli und Ronja sind am vierten Tag nach Hause gegangen, am fünften machen wir zu Fuß die erste Schnupperrunde im Wald. Vorteilhaft ist natürlich, dass wir den vor der Haustür haben, ganz am Anfang verschärft die Ins-Auto-Packerei die Logistik schon um einiges.
Ende November gab's im Wienerwald 35 cm Pulver. Ulli steht zwei Wochen nach der Entbindung auf Schi, mit Ronja geht's zwei Tage später die 300 Höhenmeter auf unseren Hausberg.
Eins ist schnell klar: Dahingleiten im weichen Schnee ist fürs Baby wesentlich erschütterungsfreier als Zu-Fuß-Stapfen im verschneiten Gelände. Harte Pisten meiden wir konsequent, schon allein wegen der potenziellen Gefährdung durch andere Schifahrer. Bei gutem Schnee im Gelände kann man gefahrlos aus der Ebene heraus ein Gefühl für das neue Bauchbinkerl entwickeln und wird sich bald - natürlich bei extrem kontrollierter Fahrweise - auch in etwas steilere Hänge wagen. Zu Beginn unbedingt im Tragetuch am Bauch: direkter Kontakt, Atemkuhle im Bereich Schlüsselbein-Halsansatz wärmt die Luft vor (wir waren selbst bei minus zehn Grad problemlos unterwegs), ein gut gebundenes Tuch in Verbindung mit den regelmäßigen Herz-und Atemgeräuschen und der gegenseitigen Wärmeabgabe schafft fürs Baby ähnliche körperliche Bindung wie vormals im Mutterleib und ermöglicht so post natu auch dem Papa bislang verwehrte Erfahrungen.
Die unregelmäßigen Stillzeiten der ersten beiden Wochen haben sich auf unseren Touren sogleich auf 2,5 bis 3 Stunden eingependelt - die Zeit, die wir eben unterwegs waren und in der Ronja kein einziges Mal unruhig geworden ist. Ähnliches Verhalten haben übrigens vor 15 Jahren die großen Zwillingsbrüder gezeigt, allerdings nur im Sommer. Die beiden waren zu Hause ausgesprochene Schreikinder, draußen hingegen absolut friedlich, selbst auf ausgedehnten Touren.
Die günstige Witterung am Kuhberg hat uns noch etwas gezeigt: Stillen im Freien ist wider Erwarten auch im Hochwinter kein wirkliches Problem, außer natürlich bei kräftigen Minusgraden oder Wind. Bei schönem Wetter ist der Biwaksack im Rucksack geblieben, bei Sauwetter sind wir aber ohnehin nicht unterwegs. Anderntags haben wir mit Ronja am Burgspitz die 1000-Höhenmeter-Marke erreicht, 150 m unterm Gipfel hat sie Hunger bekommen, auch da war das Trinken kein Problem, trotz Bewölkung und leichten Minusgraden. Die kleine Vliesdecke, die normalerweise zusammen mit Ronjas Füßen in Papas zu großer Schihose steckt, hat hier gute Dienste geleistet. Ab sofort hat Stillen draußen seinen Schrecken verloren, was für uns neue Möglichkeiten eröffnet. Ein gewisses Zeitlimit wird jetzt nur noch durchs Wickeln vorgegeben, aber auch nur im Hochwinter.
Selbstverständlich können wir mit dem Baby nicht mehr so lospreschen, wie wir es zu zweit gewohnt waren. Ihm gilt ein Großteil der Aufmerksamkeit, die notwendige Logistik ist nicht geschenkt. Dafür öffnen sich aber viele neue Fenster, Ronja ist bei uns, die großen Brüder nutzen die Auswahl sanfterer Ziele zum Einstieg ins Tourengehen, viele Freunde scheuen sich nicht mehr, uns zu begleiten. Das Baby selbst setzt kaum Grenzen, solche werden rein durch die Motivation, die körperlichen Leistungsfähigkeit und vor allem durch die Geduld der Eltern definiert. Diese elterliche Geduld zu trainieren lohnt sich allemal - die Alternative wäre, auf die gewohnten gemeinsamen Bergerlebnisse zu verzichten, jahrelang, in manchen Fällen sogar für immer.
Und wie geht es weiter? -
Zum jetzigen Zeitpunkt können wir uns nicht vorstellen, dass Ronja mit fünf Monaten über 25 Schitouren gemacht haben wird, auch auf größere Berge mit bis zu 1500 Hm, und dass wir dabei von allen Seiten ausschließlich postive Reaktionen erleben werden. Mit ca. 6 Monaten wird Ronja auf längeren Autofahrten unruhig, beim Umstieg auf den größeren Kindersitz gibt sich das wieder; bis dahin (und natürlich darüber hinaus) ist Bahnfahren eine willkommene Alternative, das liebt sie.
Mit zunehmendem Alter wird die Leistungsfähigkeit der Eltern entscheidend - mit 10 Monaten bringt Ronja 10 kg auf die Waage plus Kindertrage und allerlei Krimskrams. Besonders wichtig: ausreichend Spielzeug, am besten in Reichweite angebunden. Große Vorsicht mit der Sonne, und zwar zu allen Jahreszeiten. Babyhaut ist empfindlich, Sonnenmilch mit Schutzfaktor 50 hat sich bewährt, während der Schlafphasen empfehlen wir zusätzliches Abdecken mit UV-Tuch oder zumindest mit einer Windel. Tolle Dienste leistet unser aufschraubbarer, kleiner Sonnenschirm.
Der nächste Winter ist gekommen, Ronja ist 13 Monate alt, über Weihnachten und Neujahr machen wir 12 Schitouren hintereinander - sie ist immer dabei. Die Zeiten, in denen wir die ganz kleine Ronja noch am Bauch tragen konnten, sind vorbei, die Rückentrage allein wird problematisch wegen der eingeschränkten Bewegungsfreiheit fürs Kind und der geschundenen Schultern des Trägers. Um für alle Beteiligten Abwechslung und dadurch Verbesserung zu schaffen, entwickeln wir Ronjas Tourenschlitten, da im Handel erhältliche Transportsysteme - wie etwa der Chariot Cougar mit Schiset - kostspielig und im ungespurten Gelände weder für den Aufstieg noch für die Abfahrt geeignet sind.
Unser Bastlermodell setzt sich großteils aus Sperrmüllteilen zusammen: ein alter Maurertrog, ein abgesägtes Snowboard, uralte Schistöcke, die wir nach zwei Wochen durch stabilere Messingrohre einer vorsintflutlichen Stehlampe ersetzt haben, zweimal vier Meter ausgemustertes Kletterhalbseil, eine alte Neopren-Biwakmatte, ein gebrauchter Styropor-Autokindersitz, ein paar Schlauchbinder. Ulli näht noch ein wasserdichtes Verdeck aus Rucksackstoff mit Klettverschlüssen und Klarsichtfenster aus einer dicken, durchsichtigen Plastik-Tischdecke. Mit einer Felldecke und einem alten zurechtgeschneiderten Daunenschlafsack erhält Ronja ein angenehmes, warmes Nest, in dem sie sich schnell wohlfühlt und immer gern hinein will. Der Boardschlitten ist extrem leicht und mittels Zugseile gut zu ziehen (wie ein Hundeschlitten, mit zwei Kurzprusiksschlingen am Klettergurt befestigt). Allerdings ist er sehr kippanfällig, was durch die Heckseile von der Hinterfrau aber gut ausgeglichen werden kann. Beim Ausprobieren auf einer flacheren Forststraße kriegt man die Sache schnell in den Griff, nach kurzer Zeit hatten wir auch im 2er-Gelände in tiefem Pulver keine Probleme mehr. Tipp: etwas breiter spuren oder vorhandene Spur ausweiten. Bei steileren Aufstiegen mit Spitzkehren wird aus dem gemütlichen Familienausflug allerdings schnell eine olympische Zweierdisziplin - nur für hochleistungswillige, extrem motivierte und eingespielte Paare.
Von Beginn an stellt sich folgender Ablauf ein: Den ersten Teil der Tour - Forststraßen, Ziehwege, leichtes Tourengelände - schläft Ronja durch die gleichmäßige Bewegung schnell ein. Nach dem Aufwachen bewähren sich Bilderbücher und/oder eine kleine Jausenbox. Wenn es im Schlitten fad wird und sie heraus möchte, empfiehlt sich eine kleine Stillpause und/oder etwas Beinevertreten. Mittlerweile ist das Gelände auch meist steiler geworden, der Schlitten wird einfach geparkt und sie wechselt in die Rückentrage. Perfekt für tiefere Temperaturen ist zusätzlich zum Overall Mamas alte Daunenjacke (Füße in die Ärmel) und darüber noch der Schlafsack aus dem Schlitten. Auf diese Weise kann wirklich nichts passieren - wir waren immerhin alarmiert durch Horrormeldungen aus Osttirol, nach denen einem Kind nach dem Pistenfahren in der Rückentrage bei tiefen Temperaturen die Beine amputiert werden mussten; ein anderes Kind soll auf diese Weise sogar erforen sein!
Daher müssen die Eltern auf Schitouren mit Kleinkindern zuvor viel Erfahrung auf kleineren Unternehmungen gesammelt haben, ständig voll bei der Sache sein und bezüglich der Tour über den Dingen stehen! Unvorhergesehenen Zwischenfällen kann weit schwerer begegnet werden als unter erfahrenen, erwachsenen Tourenteilnehmern. Der gesteigerte physische Aufwand und die erforderliche Logistik, welche nicht in Stress ausarten dürfen, sondern für Kind und Eltern in einem vernünftigen Rahmen bleiben müssen, werden den Kreis der tourengehenden Familien mit Kleinkindern ohnehin eher klein halten.
Bei der Abfahrt ist Ronja regelmäßig begeistert, ganz egal ob im Schlitten oder bei Mama in der Rückentrage, wo sie singend und johlend den vorbei flitzenden Papa mit dem leeren Schlitten beobachtet. Das Ding erinnert stark an die winterlichen Verletztentransporte der Bergrettung vor der Hubschrauber-Ära. Ein Kärntner Tourengeher am Hohen Bösring (Karnische Alpen, Osttiroler Gailtal): „So an Akja hab i no net g'sehn!“
Noch ein Winter später - Ronja ist inzwischen 2 Jahre alt - hat sie mit uns mittlerweile an die 150 Touren unternommen. Die Kombination mit Trage und Schlitten funktioniert noch immer blendend, obwohl sie jetzt natürlich vermehrt ihrem eigenen Willen Nachdruck verleiht. Öfter als früher bleibt sie mit Mama auf der Alm. Abgefahren wird nur noch in der Rückentrage, darüber hinaus wechselt sie öfter zwischen allen möglichen Positionen (zwischen Mamas Rücken und Rucksack, auf Papas Schultern, bei der Abfahrt über 900 Hm Forststraße sogar auf den Achseln frei hängend zwischen Mamas Schi (!) - unten am Parkplatz lautes Protestgeschrei, weil's schon aus ist ...
Lautes Protestgeschrei über die Verweigerung eines dritten Müsliriegels war übrigens der Auslöser für die einzige ernst zu nehmende Negativreaktion eines anderen Tourengehers: Ronja war bis hinauf zum Gipfel des Bösen Weibl in der Schobergruppe zu hören, worauf ein erboster südösterreichischer Tourengeher am Tschadinsattel über uns kam: „Wo is das Kind!“ - „In der Rückentrage.“ - „Das glaub i net! ... Blöde Eltern! ... Das ist verboten! ... Ihr wisst net, was ihr dem Kind antut! ... Das wird Folgen haben!“ - Die begleitende Dame war mit Grußverbot belegt, dafür haben uns beide aus vollen Rohren abfotografiert; auf die Folgen warten wir noch heute ...
Mittlerweile ist Ronja kein Baby mehr. Als sie mit 25 Monaten zum ersten Mal allein auf Schi rutscht, sind wir mehr überrascht als sie. Der letzte Film unserer Reihe Baby scales mountains entsteht auf der Gagenhöhe in den Villgratner Bergen. Darin wird genauer auf Ronjas Tourenschlitten sowie mögliche und unmögliche „Alternativtransportarten“ eingegangen.
Mit drei fährt Ronja erstmals auf eigenen Beinen ab - über die präparierte Rodelbahn von der Compedal-Schihütte am Tullenkogel in Osttirol. Sowohl im Tourenschlitten als auch in der Rückentrage ist sie ausdauernder geworden, mit von der Partie sind jetzt ihre Lieblingsstoffpuppe und etliche Stofftiere, die partout immer aufs Gipfelkreuz klettern möchten. Wenn ihr Interesse an konkreten Unternehmungen mit Ronja habt, lassen sich mittels der Suchfunktion auf nature-classic (etwa durch Eingabe von Tourenschlitten) eine ganze Reihe von Touren herausfiltern.
Nach ersten Kletterversuchen auf Kalymnos (2012) und in Norwegen (2013) nimmt Ronja 2014 im Alter von 3 Jahren und 9 Monaten ihre ersten Mehrseillängentouren am Peilstein im Wienerwald in Angriff - für uns Anlass genug für den Start einer neuen Videoreihe: Kiddie climbs mountains. Gerade erst vier geworden wieselt sie Anfang Dezember in Guaria auf Teneriffa mit ganz wenig Seilhilfe über die 20-m-Route Que bonitas son mis niñas im 5. Schwierigkeitsgrad. Auch im folgenden Winter sorgt sie für Überraschungen. Nach drei Tagen Schikurs fährt sie im Jänner ohne Hilfe die 600 Hm Forststraße von der Kaiser Niederalm (Wilder Kaiser) nach Gasteig ab. Nur wenige Tage später rauscht sie (nach „Auffahrt“ im noch immer beliebten Tourenschlitten) bei 20 cm Pulver erstmals in unverspurtem Gelände von der Gratzeralm zum Sadnighaus hinunter (Asten/Goldberggruppe).
In etwa zeitgleich mit Ronjas 6. Geburtstag kommt schließlich ein auf Kinder zugeschnittener Tourenschi auf den Markt, ihre erste selbständige Schitour führt sie auf den Soldererkaser am Fuß des Lerchknoten über dem Wilfernertal, Villgratner Berge, Osttirol.
(12.2017)