Klettergebiete auf der Halbinsel Istrien
Die kroatische Adriaküste gilt seit Jahrzehnten als leicht erreichbares Ferienziel. Doch der Zahn der Zeit nagt nicht nur an den Klippen der unzähligen Inseln und felsigen Küsten. Von der einstigen Romantik kaum erschlossener Campingplätze und kilometerlanger, menschenleerer Küstenstriche ist kaum etwas geblieben. Wo man sich vor dreißig, vierzig Jahren den Weg durch duftenden Urwald zu seiner Privatbucht gebahnt hat, trifft man heute auf moderne, überfüllte Megacamps mit viel Asphalt und gestrengen Guards, welche schneller nach der Tageskarte fragen, als man grüßen kann. In den Monaten Juli und August trifft diese Ohrfeige naturgemäß am heftigsten, manch langjähriger Stammgast hat frustriert die Heimreise angetreten in der Gewissheit, dass „sein“ Kroatien dahin ist.
Und doch gibt es sie noch - verschwiegene Plätze, die einen jedes Jahr wiederkommen lassen, Küstenstriche von einer Wildheit, wie man sie so knapp vor den Toren der Ostalpen niemals suchen würde. Im Landesinneren der Halbinsel begegnet man auch im Hochsommer noch kaum Touristen, außer vielleicht an den wenigen Hotspots, wie etwa dem Künstlerdorf Motovun. Einem unserer vorrangigen Interessen ist die Erschließung der letzten Jahre sogar entgegengekommen: An die zwei Dutzend Klettergärten lassen sich mittlerweile auf Istrien entdecken, viele Routen verdanken wir der Initiative österreichischer Kletterer. Auf dem Weg dorthin finden sich mehr sehenswerte Überraschungen, als man erwarten würde: etwa die romanische Freskenkirche von Hrastovlje oder der idyllische Flusslauf bei Pazin mit seinem erstaunlichen Wasserfalldom Zarečki krov. Im Naturpark Vela Draga entschleiert Mutter Natur einige ihrer Geheimnisse, mit deren Hilfe sie ihren vielfältigen alpinen Formenreichtum zaubert. Überdies trifft man hier - wie auch in den Klettergärten rund um Triest - auf beeindruckende Spuren der Kletterkunst Emilio Comicis, der 1933 die berühmte Nordwand der Großen Zinne erstmals durchstiegen hat. - Aber jetzt auf zu unserer Klettersafari quer durch Istrien.
Raspadalica. Nur sieben Kilometer südlich der slowenisch-kroatischen Grenze (Infos zu den nördlich anschließenden Klettergebieten in Slowenien - Klettergärten 2. Der Südwesten) tritt der lange Felsgürtel zwischen Triest und Učka wieder deutlich zutage. Man erreicht die Routen entweder von der Bahntrasse am Wandfuß oder über die Hochebene dahinter. Schöner Blick auf den malerischen Bergkegel mit der Stadt Buzet gleich gegenüber.
Die südöstlich anschließenden Klettergärten von Nugla, Sopot und Krkuž (hinter der kleinen Festungsstadt Roč) bieten hauptsächlich Routen im 7. und 8. Franzosengrad, erst oberhalb von Kompanj wird die Auswahl wieder größer. Mittlerweile 100 Routen an 5 Sektoren (darunter Krankenhaus), liebevoll und mit österreichischer Gründlichkeit angelegt, sogar ein Wandbuch darf nicht fehlen (in einer Sintertasche beim Trüffelschwein, Sektor A). In einem Punkt teilt Kompanj sein Schicksal mit fast allen anderen Klettergärten der Halbinsel: Die Vegetation versucht in Windeseile, sich das ihr abgeluchste Terrain zurückzuholen. Es ist keine schlechte Idee, wenn jeder Besucher in solchen Gebieten beim Zustieg eine Gartenschere zur Hand hat. Dies kommt jedem zugute, das Arbeitsaufkommen hält sich im Vergleich zum Knochenjob der Erschließer sehr in Grenzen, und es soll immer wieder Leute geben, die irgendwann Gefallen an dieser Art von Gärtnerei finden ...
Auch südlich und südwestlich von Buzet (preiswertes Hotel Fontana, 3 Sterne, leichtes Ostblock-Nostalgie-Flair, gutes Frühstück; etwas nobler das 4-Sterne-Boutiquehotel Vela Vrata in der Oberstadt) hat sich in den letzten Jahren viel getan: Aus Izvor Mirne wurde das ansehnliche Klettergebiet Buzetski kanjon in den Schluchten von Pivka und Mirna (5 Sektoren mit knapp 100 Routen zwischen 6a und 8a+).
Etwas weiter flussabwärts, ebenfalls in Sichtweite von Buzet, das neue Gebiet Kamena vrata (3 Sektoren, 2 Dutzend Routen bis 30 m zwischen 4a und 7a+). Dieses kleine Paradies für Anfänger und Genusskletterer ist ein Werk einheimischer Kletterer.
Dann sind da noch die Felsen über dem Kurstädtchen Istarske toplice 8 km westlich, wo man neben dem neuen „österreichischen“ Sektor Hallelujah sogar 3-SL-Touren von 90 m Höhe findet (insgesamt 40 SL von 4a bis 8c+, die Mehrzahl ab 6b).
Noch weiter westlich, ganz an der slowenischen Grenze, warten an den 15m hohen Wänden des kleinen Canyons von Ćepić 40 ganz nette Routen; auch Genusskletterer kommen hier wieder zum Abheben (4a bis 7b), das Gebiet ist reizvoll, etwas entlegen und daher kaum jemals überlaufen.
Gut 10 km weiter auf dem Weg zur Westküste, kurz vor der alten Hauptstraße 21 (E751), verstecken sich im dichten Gehölz knapp neben der Straße die maximal 15 m hohen plattigen Felsen von Ponte Porton. 30 Routen von 4b+ bis 6a+, die meisten im 5. Grad.
Von hier sind es nur mehr 15 km bis an die Küste mit ihren berühmten Ferienzielen wie Poreč oder Rovinj. Letzteres bietet - neben dem malerischen Stadtbild inklusive Jachthafen und vorgelagerten Inseln - geselliges Klettern unmittelbar neben dem Meer, 15 Gehminuten vom 4-Sterne-Hotel, ein Mekka für Einsteiger und Genusskletterer zwischen französisch 4 und 7.
Wenn dann zu Mittag gnadenlos die Sonne in die Routen sticht und man mit seinen Kindern gern zur Abwechslung mal auf der einsamen Insel wäre, dann ist man mit Veštar gut beraten.
Nur 5 km nördlich öffnet sich der Limski kanal, eine 12 km tiefe, grüne Ria (s. Pico da Garita). Obwohl hier in der Hochsaison Ausflugsboote verkehren, ist die Wasserqualität wegen der zahlreichen unterseeischen Süßwasserquellen ausgezeichnet (Muschelzuchten!), aufgrund seiner Ausdehnung sind auch Ruhe und Erholung zu finden. Und natürlich, speziell an der Nordseite, jede Menge kletterbarer Kalkfels: Nahe der Mündung verstecken sich - erreichbar mit dem Boot oder in abenteuerlichem Dschungelkampf - gute DWS-Felsen (s. auch unten bei Dvigrad). Tief im Innern der Bucht locken 5 verstreute Sektoren, weit über 100 Routen zwischen 4b+ und 8a sowie fantastische Aussicht auf den Fjord.
Dvigrad. Wenige Kilometer landein thront auf jähem Hügel inmitten eines grünen Tales - der trockenen Fortsetzung des Limfjordes - die Festung Dvigrad. Teile der Burg aus dem 11. Jahrhundert werden sorgsam restauriert, andere verharren unter farbenprächtigen Blumenteppichen im Dornröschenschlaf. In Richtung Adria überspannt die schlanke Brücke der neuen Schnellstraße nach Pula eindrucksvoll die Schlucht. Auf der gegenüberliegenden Talseite nimmt uns ein lang gestreckter Felsriegel gefangen - im Licht des späten Nachmittags nahezu südfranzösisches Ambiente.
Noch ein großer Name der internationalen Kletterzunft ist aufs Engste mit den Felsen von Dvigrad verbunden: Maurizio Zanolla, genannt Manolo, bereits zu Lebzeiten eine Legende. Der aus der Pala stammende Ausnahmekletterer hat schon 20 Jahre vor den Huber-Buam höchste Schwierigkeiten bei sparsamster Absicherung in alpine Riesenwände übertragen. Ambitionierte Normalkletterer mit guten Nerven können sich etwa in der nach ihm benannten Verschneidung im Sarche-Tal (Il Dain, Pian dela Paia) ein Bild von seiner kompromisslosen Kreativität machen. Seine in Dvigrad bereits vor 30 Jahren erschlossenen Routen – wie etwa Malvazija 8b+, mittlerweile auf 8c+ aufgewertet - setzten nicht nur hier neue Maßstäbe, sie dürften auch bis heute noch nicht allzu viele Wiederholungen aufweisen. Gleich rechts der Malvazija ein modernes Gegenstück: What we gonna do with the drunken climber 8c.
Nach 10-minütiger, flacher Wanderung nimmt uns die erstklassige Felsqualität der wulstigen Platten und die verlockende Routendichte gefangen. Viele einfachere Routen ab französisch 4b lassen auch Anfängern und Genusskletterern eine Chance. Nach ein paar moves taucht unvermittelt eine mit Buschmesser bewaffnete Gestalt aus der Macchia – Luciano, der Hausherr des Klettergartens, lädt uns freundlich auf seine benachbarte Hacienda, einem kleinen selbst gebauten Häuschen mit angeschlossenem einfachen Campingplatz. Voller Stolz zeigt er uns sein Reich, die selbst konstruierte Solaranlage, das Matratzenlager im Dachgeschoss …
Elf Jahre lang schlagen wir unsere Zelte bei Luciano auf. Mitten in der Hochsaison sind wir mit den Kindern allein am Platz, von Anfang an bestimmt ein natürlicher Rhythmus den Tag. Frühstück, ein paar Spiele, eine 20-minütige Fahrt zum Limfjord, wo wir uns von einer Mountainbike-Route aus einen streng geheimen Zugang durch eine verwachsene Urwaldschlucht zu unserer privaten Badebucht bahnen. Schnorcheln, deep water soloing, Erforschen einer Durchgangshöhle, die im Meer mündet …
2009 erleben wir eine böse Überraschung. Anstelle des romantischen Zugangs durch den Urwald klafft eine breite Pipelinetrasse, die zielgenau unsere langjährige Lieblingsbucht einfach ausgelöscht hat. Wie ist das möglich - noch dazu in einem geschützten Gebiet? - Für Wirtschaftsbosse mit den obligaten politischen Sitzkissen wohl keine Frage ...
Wir nutzen unsere alten Küstensteige durch die Macchia und suchen hinterm nächsten Eck eine neue Bleibe, die 20 m hohe Felsenbucht-Verschneidung mit tollen DWS-Möglichkeiten.
Am frühen Nachmittag zurück zum Zeltplatz, Mittagessen kochen, gegen 16 Uhr zum Klettergarten, der jetzt im Schatten liegt und angenehme Temperatur auch für strengere Beschäftigung bietet. Raphael und Nikolaus wünschen sich eigene Touren, Gott sei Dank haben wir die Hilti dabei.
Wir haben in Dvigrad alle Routennamen an den Einstiegen angeschrieben und 4 neue Touren eingebohrt, die sicher nicht zu den besten des Gebietes gehören, laut Luciano aber dennoch gern geklettert werden: Rattlesnakey Nik 4b+, und Raph Coral snake 6a finden sich als Nummer 9 und 10 von der Straße aus gezählt, 10 m (und 3 Touren) weiter Hermine 5b und Anita 5a.
Im Sommer 2017 dann ein Schock: Trotz Anmeldung ist Lucianos Wiese nicht gemäht, überall steht ungewaschenes Geschirr mit Essensresten herum, nach Stunden wankt er aus seinem Häuschen - um 10 Jahre gealtert. Wir kennen ihn aus besseren Zeiten und bleiben trotz allem eine Woche am Platz, in seltenen Momenten können wir einigermaßen vernünftig mit ihm reden, das brennende Thema allerdings umgeht er virtuos. Wir suchen das Gespräch mit Verwandten und einer Bekannten vom Tourismusbüro Kanfanar - die eine Seite schämt sich, die andere berichtet von langjährigen Problemen, deren Luciano in den Sommermonaten bislang meist Herr geworden ist. Nach 4 Tagen scheint er sich zu fangen, nach wenigen Stunden ist es wieder vorbei. Nach drei weiteren Tagen verlassen wir mit hängenden Ohren unseren Kultplatz, unfähig, den einen drunken climber zu klettern oder dem anderen zu helfen ...
Der traditionsreiche Klettergarten Dvigrad ist nach wie vor gut besucht. Aber Vorsicht: In manchen Bereichen nagt der Zahn der Zeit an den Bohrhaken, manche Umlenker sind beschädigt oder nicht mehr vorhanden, meist kann man sich behelfen. Die Stadt Kanfanar zeigt trotz Intervention und Hilfsangebot unsererseits (2016) wenig Initiative, erfreulicherweise sind immer wieder kleinere Sanierungsversuche und Rodungsaktionen von privater Seite zu erkennen.
Nächste Station auf unserer Schlangenlinie durch die Halbinsel ist Pazin. Auf der Schnellstraße ist die Stadt im geografischen Mittelpunkt Istriens bald erreicht, die beiden Sektoren unweit nö. des Zentrums sind bei Touristen kaum bekannt, in ihrem landschaftlichen Reiz aber derart beeindruckend, dass hier sogar Jules Verne die Inspiration für einen seiner Romane fand. Am empfehlenswertesten ist ein Besuch, wenn der Fluss Wasser führt, nur ausgesprochene Athleten, die sich an der immensen Höhlendecke hinter dem Wasserfall vergnügen möchten, werden die trockene Jahreszeit bevorzugen.
Gut 15 km weiter im Südosten liegt in einem abgeschiedenen Tal Dolina Raše, ein Platz voller melancholischer Eigenart. Die Eintrittskarte zu den Felsen bildet allerdings ein schilfbestandenes Biotop am Fuß der bewaldeten Talflanke - bei unserem Besuch (2005) ein expeditionsartiger Moskito-Dschungelkampf. 9 Routen von max. 12 m zwischen 4c und 6c+, Gartenschere und Handschuhe angeraten.
Einen gänzlich anderen Charakter zeigt Vela Draga, unweit des Učkatunnel-Westportales. Die erstaunliche Felsschlucht mit beachtlicher Klettergeschichte ist mittlerweile zum Naturpark erklärt worden, markierte Steige führen zu den ansprechenden Wänden und frei stehenden Felskeulen hinab. Die gegenüberliegende Talwand (stijena) mit ihren ehemals 100 m hohen Mehrseillängenrouten ist im Führer allerdings nicht mehr aufgeführt, möglicherweise sind etwaige Sanierungspläne dem Vogelschutz zum Opfer gefallen. Bleiben immerhin noch gut 50 Touren zwischen 4a und 7b+, eine davon (am Großen Turm) sogar 80m hoch.
Wenn man irgendwie kann (oder wegen der wunden Finger muss), sollte man ein paar Stunden oder besser eine ganze Nacht für den Vojak, den höchsten Punkt des Učka-Massivs einplanen. Auf der anderen Seite des Berges, direkt an der Küste am Rand des Campingplatzes Medveja, liegt ein netter, kleiner Übungsklettergarten. Nach diesen 12 Routen bis 20 m zwischen 4b und 6a schmeckt das Frühstück dreimal so gut.
Nur einen Katzensprung weiter südlich liegt in einem Waldgraben gleich hinter Mošćenićka Draga der Sektor Potoki, hoch über dem Ort der Sektor Ziavica. Der halbstündige Zustieg dort hinauf empfiehlt sich besonders im Frühsommer durch seine außergewöhnliche Vegetation und den Tiefblick auf die Kvarnerbucht und die Inseln. Knapp 30 Routen von 4c bis 7a.
Brseč ist ein malerischer kleiner Ort hoch über der fantastischen Steilküste wenige Kilometer weiter südlich. Die Straße nach Pula führt hier ansteigend vom Meer weg, und so wälzen sich die Touristenströme an den wildesten Cliffs der oberen Adria vorbei, ohne sie überhaupt zu bemerken. Grazer Kletterer sind hier vor einigen Jahren bemerkenswert aktiv geworden, aber schon bald kehrten viele dem tollen Gebiet zerkratzt und frustriert den Rücken, ohne auch nur eine Tour identifiziert oder gar gefunden zu haben. 2010 haben wir zumindest den Zugang vom Ort hinunter zur Belićeva stijena und zum fantastischen Monolithen Belićev stup (mit kurzem Klettersteig durch die W-Wand) ausgeschnitten. 30 Routen bis 60 m von 5c bis 7c+, die Hälfte mit 2 Seillängen, teilweise wirklich scharfer Kalk.
Die Felsen an der Bergstraße hinunter zum Badeort Rabac haben bis jetzt ein Dutzend netter Routen zwischen 5a und 7c anzubieten. Schöne Aussicht auf das Städtchen Labin und die Kvarner Bucht. Ebenfalls des lohnenden Panoramas wegen ist für Rasttage die einfache Wanderung auf den 500 m über dem Meer gelegenen Doppelgipfel Goli-Oštri südlich von Labin zu empfehlen.
Vinkuran ist ein südlicher Vorort Pulas und bietet - keine 5 km vom berühmten Amphitheater entfernt - eine doppelte Überraschung. Das verschachtelte Gelände eines antiken Römersteinbruchs lässt den Kletterer eine besondere Aura spüren, die 37 Touren von 5a bis 8a+ zeigen unterschiedlichste Charaktere, unbedingt sollte man Hand an Tante Zorka oder Rasputin legen. Und sich hinterher im Naturpark Kamenjak, an der Südspitze Istriens, von den lustvollen Strapazen erholen.
Literatur: Čujić, Boris: Croatia Kletterführer, viersprachig. Zagreb: Astroida 2014.
Weitere kroatische Klettergebiete auf nature-classic:
Kroatien - Klettergärten 2. Obere Adria
Kroatien - Klettergärten 3. Der Süden
Kroatien - Klettergärten 4. Biokovo
Kroatien - Klettergärten 5. Konavle - der äußerste Süden
Kroatien - Klettergärten 6. Der Norden und Osten